Unter null
Die Winternothilfe der niedersächsischen Landeshauptstadt versucht Obdachlosen zu helfen
Seit einem Jahr gibt es die Rundgänge der Winternothilfe in der niedersächsischen Landeshauptstadt - an zwei bis drei Tagen pro Woche mit heißem Tee, warmen Decken und Socken im Gepäck. »Das ist langfristige Vertrauensarbeit«, erzählt Schmid. »Viele sagen, sie wollen in keine Wohnung und wollen der Kälte trotzen.« In einem Park ist Anfang 2010 ein Obdachloser gestorben. Zwar hatte er einen Herzinfarkt und ist nicht erfroren. Aber: Das Geschehen hat die Stadt aufgeschreckt. Seitdem gibt es neben Tagesaufenthalten und Obdachlosen-Schlafplätzen, wie in anderen deutschen Städten, auch eine Notfallrufnummer.
Steigende Zahlen
Rund 22 000 Menschen lebten im vergangenen Jahr in Deutschland auf der Straße, schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) und stützt sich auf Umfragen in mehreren Städten. Das sind etwa 2000 mehr als noch zwei Jahre zuvor. Doch diese Zahl ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs: Etwa 248 000 Menschen in Deutschland waren im vergangenen Jahr wohnungslos, hatten also keinen Mietvertrag. Sie lebten bei Freunden, schliefen einige Nächte in Heimen oder schlüpften in Abrisshäusern unter. Einer von ihnen ist Willy. Der 64-Jährige trägt einen verwaschenen Wollpulli, sein langer, weißer Bart ist rund um den Mund noch etwas rot. Vor neun Jahren konnte er seine Miete nicht mehr zahlen, er flog aus seiner Wohnung und übernachtet seitdem in einer Unterkunft für Wohnungslose. Nun sitzt Willy an einem Tisch in einem Tagesaufenthalt in der hannoverschen Nordstadt und löst Kreuzworträtsel. Sein Einkaufswagen steht vor der Tür - darin sind gesammelte Lebensmittel, die Supermärkte weggeworfen haben. »Das Geld ist knapp«, lächelt er.
»Wir rechnen damit, dass es noch mehr Wohnungslose werden«, sagt Werena Rosenke von der BAGW. Bis zu 280 000 Menschen könnten im Jahr 2015 wohnungslos sein. Als einen Grund sieht sie den zunehmend angespannten Wohnungsmarkt - viele Menschen arbeiteten im Niedriglohnbereich, es gebe aber immer weniger Sozialwohnungen.
Besonders heikel wird es, wenn die Temperaturen unter null Grad rutschen. Im vergangenen Winter sind vier Obdachlose in der Kälte gestorben - ein Jahr davor waren es sogar 17. Warum sie trotz eisiger Temperaturen dennoch draußen bleiben, sei schwierig zu verstehen, meint Karen Holzinger von der Berliner Stadtmission. Oft meiden Obdachlose Notunterkünfte aus Angst davor, bestohlen zu werden. »Sie haben schließlich alles bei sich«, erklärt Schmid. Oder sie ertragen die Nähe zu fremden Menschen nicht. »Viele haben auch psychische Erkrankungen - Despressionen, Psychosen, Süchte.«
Frühes Eingreifen
Köln zählt inzwischen 1800 in Projekten untergebrachte Wohnungslose. Es gibt ein Haus für Pärchen und seit 2010 das Angebot einer kleinen Wohnung für Wohnungslose mit Hund. In München versuchen die Behörden, möglichst früh einzuschreiten und Menschen zu besuchen, denen eine Zwangsräumung der Wohnung droht. Müssen sie tatsächlich ausziehen, können sie ein halbes Jahr lang in einer eigenen Wohnung leben - in einem sogenannten Clearing-Haus - und hier ihr Leben ordnen. In der Hauptstadt versorgt ein Kältebus seit 1994 Obdachlose und bringt sie in Notunterkünfte, wenn sie nicht mehr allein dorthin können.
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