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Den Krieg gegeißelt
BRUNO VOGEL - NIRGENDWO DAHEIM
Größenwahnsinnige Offizierstypen hetzen mit unzähligen frechen, verlogenen Phrasen zum Kampf für Recht und Ehre, das blanke Schwert in der Faust, um dann die Machtgelüste ihrer Caligulaseelchen wieder möglichst ungehemmt ausleben zu können. Gewissenlose Schieber- und Sucherwänste haben gelernt, je gewaltiger Hunger und Not eines Volkes, desto leichter ist ein Geldsack oder Bankkonto zu mästen, und triefen darum vor kriegsbegeisterter Vaterlandsliebe.«
Nicht alleine diese Sätze sind es, wegen denen der Staatsanwalt das erste nach dem Krieg in Deutschland erschienene Antikriegsbuch verbieten wollte. Der 1898 in Leipzig geborene Bruno Vogel, dessen anfängliche Kriegsbegeisterung durch die Erlebnisse an den Fronten des Ersten Weltkriegs in blankes Entsetzen umschlug, hatte in seinem 1924 im Leipziger Verlag Die Wölfe, einem der wichtigsten Editionshäuser der Linken in Sachsen, erschienenen Buch »Es lebe der Krieg!« mit eindringlichen Worten nicht nur das Blut, den Dreck, die zerstörten Leben und die Sinnlosigkeit des Mordens beschrieben, sondern auch den Oberst am Scherenfernrohr, der onanierend beobachtet, wie seine Mannschaften in den Tod stürmen.
Der Leib Christi am Kreuz, so Vogel, wird von Granaten zerfetzt, derweil Gott seine Hand öffnet, um Eiserne Kreuze über die sterbenden Soldaten zu schütten. Solche Sätze führten zu einer Anzeige wegen Verbreitung unzüchtiger Literatur und Gotteslästerung und zu einem lange währenden Prozess durch verschiedene Instanzen. Die Folge war, dass weitere Auflagen des Buches nur in einer durch den Verleger ironisch so bezeichneten »kastrierten« Ausgabe erscheinen konnten.
Der Prozess gehörte zu den spektakulären Zensurmaßnahmen der Weimarer Republik, was zur Folge hatte, dass sich viele Intellektuelle mit Vogel solidarisch erklärten. Thomas Mann schrieb ein Gutachten, in dem er betonte, dass die Sprache Vogels wohl krass sei, diese aber ein Ergebnis der fürchterlichen Erlebnisse ist und angetan wäre, den Völkern die Wiederholung der grässlichen Ereignisse zu ersparen. Kurt Tucholsky bezeichnete das Buch neben Arnold Zweigs »Streit um den Sergeanten Grischa« als das wichtigste Antikriegsbuch der Zeit. Partei für Vogel ergriffen auch Käthe Kollwitz, Siegfried Jacobsohn, Heinrich Mann, Fritz von Unruh, Magnus Hirschfeld, Kurt Hiller und viele andere. Die juristische Verteidigung hatte Kurt Rosenfeld übernommen.
Bruno Vogel verkörperte alles das, was ihn bei den Herrschenden unbeliebt machen musste: Er war entschiedener Pazifist mit anarchistisch-sozialistischer Einstellung und, selbst schwul, Aktivist der Bewegung zur Abschaffung der Diskriminierung von Homosexualität. Das alles führte ihn an die Seite Kurt Hillers, in dessen Gruppe Revolutionärer Pazifisten und in Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaften. Seine Erzählung »Alf«, veröffentlicht als erstes Werk der Gilde Freiheitlicher Bücherfreunde, der Buchgemeinschaft der syndikalistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands, thematisiert eine homosexuelle Liebe, die durch Staat, Kirche und Gesellschaft zerbricht und als Konsequenz den Protagonisten der Erzählung den »Heldentod« an der Front suchen lässt.
1931 verließ Vogel Deutschland und lebte in Norwegen, dann in Südafrika, wo er sich im Kampf gegen die Apartheid engagierte, und später in England, wo er 1987 verstarb. Raimund Wolfert hat nun eine gründlich elaborierte Biografie Vogels vorgelegt, die nicht nur eine empfindliche Lücke der Literaturgeschichte füllt, sondern einen Mann ehrt, der es wahrlich verdient hat.
Raimund Wolfert: Nirgendwo daheim. Das bewegte Leben des Bruno Vogel. Leipziger Universitätsverlag. 303 S., geb., 29 €.
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