Pulsschlag aus Stahl

Seit 140 Jahren ist Thüringen ein wichtiger Produktionsstandort

  • Andreas Hummel, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Unterwellenborn bei Saalfeld ist einer der traditionsreichsten Stahlstandorte in Ostdeutschland. In diesem Jahr steht nun ein Doppeljubiläum an: Vor 140 Jahren wurde die Maxhütte gegründet, aus der vor 20 Jahren das heutige Stahlwerk Thüringen hervorging.
Unterwellenborn. Fast hätte vor 20 Jahren dem Stahlwerk in Unterwellenborn bei Saalfeld das gleiche Schicksal gedroht wie zig anderen Betrieben im Osten: Es wäre abgewickelt worden. »Die Treuhand hatte den Standort schon aufgegeben«, erinnert sich Michael Hirsch an die monatelange Zitterpartie. Er fing 1978 in der Maxhütte an und ist heute Leiter Personal im Stahlwerk. Dass es anders kam, war einer Großinvestition zu verdanken, die die Walzstraße in den 80er Jahren zu einer der modernsten Europas gemacht hatte. Hirsch: »Das war unsere Lebensversicherung.« So fand sich mit der Luxemburger Arbed-Gruppe doch ein seriöser Investor. Am 1. Juli 1992 wurde das Stahlwerk Thüringen gegründet, das mit fast 700 Mitarbeitern seither die Stahltradition fortführt.

Denn Unterwellenborn beschert Thüringen - und nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweise der ganzen Ostzone - schon länger den »Pulsschlag aus Stahl«. 1872 - vor 140 Jahren also - wurde hier der Grundstein für die Maxhütte gelegt und die Tradition als Stahlstandort begründet. Zwar musste die Maxhütte nach immensen Kriegsschäden im April 1945 den Betrieb vorübergehend einstellen, doch bis 1949 gingen alle vier Hochöfen wieder in Betrieb - zeitweise waren sie die einzigen in der gesamten sowjetischen Besatzungszone. Unter der Parole »Max braucht Schrott« sammelten damals Jugendliche Altmetall als Rohstoff für die Hütte.

Nur jeder Zehnte konnte bleiben

An die Maxhütte selbst erinnern nur noch zwei alte Röstöfen an der Bundesstraße 281 und das Industriedenkmal Gasmaschinenzentrale. »Nach der Wiedervereinigung war allen klar: So wie es war, kann es nicht weitergehen«, erläutert Hirsch. Denn die Hochöfen hätten nicht mehr dem Stand der Technik entsprochen. »Das Betreiben der Hochöfen war auch aufgrund der geografischen Lage nicht mehr rentabel.« So wurde das Unternehmen geteilt: Das Stahlwerk Thüringen, eine Arbed-Tochter, übernahm die Walzstraße mit mehr als 600 Mitarbeitern, der weiter von der Treuhand verwaltete Rest wurde Stück für Stück abgerissen.

»Man hatte damals schon einige Tränen in den Augen«, erzählt Betriebsrat Lutz Beißig, der 1980 in der Maxhütte anfing. Denn von den einstmals mehr als 6000 Arbeitsplätzen blieb gerade einmal jeder zehnte. Doch letztlich sei das Konzept aufgegangen. Es hätte auch anders kommen können, weiß Beißig. Damals habe es auch Interessenten gegeben, die einen Konkurrenten ausschalten wollten.

Seit dem Neustart 1992 wurde kräftig investiert. Die Arbed-Gruppe, die später mit anderen Stahlherstellern zu Arcelor fusionierte, ließ ein neues Elektrostahlwerk bauen, in dem Schrott eingeschmolzen wird. Im bisherigen Rekordjahr 2008 waren es mehr als eine Million Tonnen Flüssigstahl. Im Walzwerk werden daraus Bauträger geformt, vorwiegend für den deutschen und europäischen Markt. 2002 und 2010 wurden noch einmal mit Millionenaufwand große Teile der Walzstraße erneuert.

2007 hatte Arcelor das Stahlwerk an die Gallardo-Gruppe verkauft, jüngst veräußerten die Spanier das Werk weiter an den brasilianischen Konzern CSN - für immerhin 482,5 Millionen Euro. »Wir waren nicht auf dem Ramschtisch zu haben«, betont Hirsch. CSN habe in der Branche einen guten Namen und versuche verstärkt außerhalb Brasiliens Fuß zu fassen. Ganz ohne Spuren ist der erneute Eigentümerwechsel an den Mitarbeitern nicht vorübergegangen. »Ich kann nicht verhehlen, dass es ein leichtes nebulöses Empfinden gibt«, räumt Betriebsrat Beißig ein. Insgesamt überwiege aber der Optimismus - auch mit neuem Eigentümer.

Vom Azubi bis zur Rente ?

Trotz Überkapazitäten auf dem Stahlmarkt und einer verhaltenen Nachfrage nach Baustahl wegen jüngster Immobilienkrisen in Ländern wie den USA und Spanien hoffen die Unterwellenborner, dass in der Region noch lange der »Pulsschlag aus Stahl« zu spüren ist. Denn das Werk bringt nicht nur Kaufkraft in die Region, sondern auch Aufträge für andere Firmen. Hirsch: »Ich hoffe, dass auch unsere heutigen Auszubildenden hier als Mitarbeiter ihr Rentenalter erleben.«

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