Zeitenwende beim Erdöl
»Unkonventionelle« Vorkommen ersetzen das klassische Rohöl / Staatskonzerne laufen Multis den Rang ab
Der US-Geologe Marion King Hubbert prägte 1974 den Begriff »Peak Oil«. Damit wird der Zeitpunkt bezeichnet, an dem das globale Ölfördermaximum erreicht ist, danach nimmt die Förderung ab. Ein einschneidendes Ereignis für die Menschheit, schließlich ist Erdöl mit einem Anteil von rund 35 Prozent am Primärenergieverbrauch weiterhin der wichtigste Energieträger und wird dies auf absehbare Zeit auch bleiben. Ob der Scheitelpunkt heute bereits erreicht ist und wie knapp Erdöl in Zukunft sein wird, darüber tobt ein nicht immer uneigennützig geführter Streit zwischen Forschern, Umweltaktivisten, Konzernvertretern und anderen Lobbyisten. Dabei wird oft mit ungenauen Begriffen operiert.
Jährlich werden weltweit rund vier Milliarden Tonnen Erdöl als Treibstoff, Heizöl, zur Stromgewinnung oder in der chemischen Industrie verbraucht. Die globalen Reserven betragen 220 Milliarden Tonnen. Damit sind aber keineswegs alle vermuteten Lagerstätten gemeint, sondern nur solche, die mit vorhandener Technik und zum gegenwärtigen Preis abgebaut werden könnten. Zu den Reserven müssen also noch die Ressourcen von rund 300 Milliarden Tonnen hinzugerechnet werden. Reserven und Ressourcen zusammengerechnet reichen bei dem jetzigen weltweiten Verbrauch noch 125 Jahre lang. Auf diese Zahlen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) vom November 2011 stützt die Bundesregierung ihre Rohstoffpolitik.
Erdöl wird der Wirtschaft also noch lange nicht ausgehen und doch dürfte »Peak-Oil« bereits hinter uns liegen. Nach den Zahlen der Internationalen Energieagentur in Paris, der 28 Länder angehören, sinkt die Weltölproduktion bereits beim klassischen Rohöl. Damit ist Öl aus konventionellen Lagerstätten an Land und an der Küste gemeint, das recht einfach abgepumpt werden kann.
Doch die Gesamtförderung könnte weiter zunehmen. Das ermöglichen unkonventionelle Lagerstätten wie Schieferöl in den USA und Kanada, Vorkommen in der Tiefsee und der Arktis oder die Gewinnung von Öl aus Kohle und Erdgas, deren Reserven und Ressourcen sogar weit umfangreicher sind. Dazu könnten alte Förderstätten besser ausgenutzt werden, die früher nur zum kleineren Teil ausgebeutet werden konnten.
Das unkonventionelle Öl wirft neue ökologische Probleme auf, aber auch wirtschaftliche. So dürfte die Zeit des billigen Öls abgelaufen sein. In den kommenden Jahrzehnten wird ein nahezu stagnierendes Angebot auf eine infolge der Industrialisierung und Motorisierung Asiens und Südamerikas global steigende Nachfrage treffen und die Preise in die Höhe treiben. Dazu heizt die weltweite Geldschwemme die Spekulation an, und die Exploration in Meeren oder Ölsanden ist äußerst kostspielig. Während das Barrel (159 Liter) netto für Kosten von weniger als fünf Dollar aus dem saudi-arabischen Wüstensand sprudelt, kostet Tiefseeöl schon mal das Zehnfache oder mehr.
Zwei weitere Trends dürften den Ölmarkt der Zukunft - und damit die Geopolitik des kommenden US-Präsidenten - dominieren. 20 Jahre lang war die Abhängigkeit des größten Rohöl-Abnehmers USA kontinuierlich gestiegen. Doch der Wind hat sich gedreht: 2011 machten die Nettoimporte weniger als die Hälfte des Verbrauchs aus. Nicht nur die Analysten der Commerzbank sprechen von einer »Zeitenwende«.
Darauf deutet auch der Rosneft-BP-Deal in Russland hin. Schon vorher befanden sich laut der Deutschen Rohstoffagentur DERA mehr als 80 Prozent der weltweiten Ölreserven im Besitz von staatlich kontrollierten Unternehmen. Multis wie BP, ExxonMobil oder Total stellen stattdessen Technik sowie Absatzkanäle bereit und setzen auf die Entdeckung neuer unkonventioneller Fundorte.
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