"Wir setzen auf den mündigen Leser"

Der Verlagsverantwortliche Ralf Keiser über den rassistischen Comic „Tim im Kongo" und warum der weiterhin bei „Carlsen" erscheint

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 7 Min.

nd: Wann haben Sie zum ersten Mal »Tim im Kongo« gelesen?
Keiser: Das ist lange her, irgendwann zwischen 16 und 18.

Und wie fanden Sie es?
Die Geschichte hat mich nicht so gepackt. Das ist nicht eines der stärksten Abenteuer. Eher eines von denen, die nur so am Rande meiner Sammlung existieren.

Hat Sie, als Sie Bereichsleiter Comic bei „Carlsen“ wurden, die Frage beschäftigt, ob Sie alle in diesem großen Haus verlegten Comics in Ordnung finden und vertreten können?
Sicher nicht am Anfang. Nach und nach wird man natürlich damit konfrontiert. Wenn man sich immer wieder mit dem Programm beschäftigt, tauchen stets Sachen auf, bei denen man sich das fragt. Wir haben auch Sachen aus dem Programm genommen. Wir hatten zum Beispiel eine Phase, wo wir eine ganze Reihe von erotischen Comics hatten. Die haben wir dann aussortiert, weil wir gesagt haben, das wollen wir nicht mehr machen. »Tim im Kongo« tauchte natürlich auch immer mal wieder auf – aber eher, wenn ‚draußen‘ darüber geredet wurde. Das passiert in größeren Abständen immer mal wieder.

Wie schlug sich das denn intern nieder, wenn es ‚draußen‘ Debatten gab? Und wie haben Sie das erlebt, wenn Sie dabei waren?
Die Debatten werden, zumindest nach meinem Ermessen, schon sehr in der Presse geführt. Es ist nicht so, dass wir hier jede Menge Briefe bekommen, wo sich Leser über diesen Comic beschweren. Wenn diese Debatten in der Presse aufgelegt werden, dann gibt es in der Regel Anfragen von Journalisten und dann nehmen wir halt Stellung dazu. Nun ist eben das Problem, dass der Band »Tim im Kongo« kein Einzelband ist, sondern Teil der ganzen „Tim-und-Struppi“-Serie. Aufgrund der Lizenz bin ich bei dem, was ich da überhaupt tun kann, eingeschränkt.

Was wird denn gesagt, wenn intern über »Tim im Kongo« gesprochen wird?
Dass es für uns keine Option ist, den Band komplett rauszunehmen, weil er eben Teil der Serie ist. Wir haben auch keine Möglichkeit, die Bilder zu verändern. Das heißt, wir können letztlich nur überlegen, wie man damit umgeht. Eine Überlegung, die wir immer mal wieder haben, ist, ein kurzes Vorwort voranzustellen, um eine historische Einordnung zu machen. Das würden wir gerne machen. Es ist nur leider so, dass wir bis jetzt von Seiten der Lizenzgeber dafür keine Genehmigung bekommen haben. Wir haben uns auch inhaltlich darüber unterhalten und uns immer mal wieder unsere Stellung dazu überlegt. Und da muss ich aber schon sagen: Die Darstellung der Kongolesen in dem Band wirkt mittlerweile so überzogen und schon cartoonhaft, dass es in unseren Augen eigentlich nur relativ schwer ernstzunehmen ist. Es ist natürlich eine Darstellung, die problematisch ist und die Hergé sehr ungefiltert aus der damaligen Sichtweise übernommen hat. Aber allein schon die Zeichnungen wirken heute eher karikierend. Das wirkt nicht so, als würde jemand sich gezielt hinsetzen und jemanden lächerlich machen wollen oder rassistische Vorwürfe erheben, sondern es wirkt schon allein von den Zeichnungen und den Darstellungen her ein bisschen aus der Zeit gefallen. Da ist unsere Position eigentlich, dass wir auf den mündigen Leser setzen, der das einordnen kann, und wenn es Kinder lesen natürlich auch auf die Eltern, die das begleiten.

Warum glauben Sie, dass es so viele mündige Leser gibt und so viele mündige Eltern, die wissen, dass da etwas problematisch ist?
Ich muss davon ausgehen. So wie wir unser Programm strukturieren, und nach allem, was wir über die Leute wissen, die solche Comics für sich oder ihre Kinder kaufen, ist es eher so, dass die in Richtung bildungsbürgerliches Publikum gehen. Da gehen wir davon aus, dass die Leute das vernünftig einordnen können.

Nun ist das aber kein Kinderbuch für Vier-, Fünf- oder Sechsjährige oder noch Jüngere, denen dann auch nur vorgelesen wird, sondern ein Comic ist doch eher etwas, was Kinder selbstständig lesen.
Ja, so ab acht bis neun Jahren kann man sicher in die „Tim-und-Struppi“-Welt einsteigen, das ist richtig.

Das heißt, wenn Kinder das alleine lesen, dann ist niemand dabei, der ihnen da etwas erklärt. Und die Kinder wissen auch nicht, dass das von Erwachsenen nicht so ganz ernst genommen wird, was sie da lesen.
Ja, das mag sein. Aber ich gehe trotzdem davon aus, dass, wenn die Kinder dann dazu Fragen haben und sich austauschen, sie sich dann an ihre Eltern wenden. Oder dass ihre Eltern zumindest ein Auge darauf haben, was die Kinder lesen, und dann von sich aus das Thema ansprechen. Das kann ich ja auf jedes andere beliebige Kinderbuch auch übertragen, das Kinder alleine lesen. Das können sie dann entweder für sich behalten, oder sie gehen damit zu den Vertrauenspersonen, wenn sie dazu Fragen haben. Das ist zumindest meine Erfahrung, wie Kinder so etwas machen.

Sie sagten 2010 bei einer Podiumsdiskussion, dass Sie »Tim im Kongo« nicht ins Verlagsprogramm aufnehmen würden, wenn es Ihnen heute jemand neu anböte. Warum erfährt es jetzt dennoch ständig Neuauflagen?
Das ist ganz einfach: Der Vertrag, der uns an die Lizenzgeber bindet, ist Teil der ganzen „Tim-und-Struppi“-Reihe und es ist einfach lizenzrechtlich keine Option, diesen Band wegzulassen. Das würde vermutlich den Verlust der ganzen Reihe bedeuten. Und da man, wenn man die ganze Reihe und alle Geschichten betrachtet, wie ich finde, nicht davon ausgehen kann, dass der Zeichner Hergé ein Rassist gewesen ist, der es darauf angelegt hätte, permanent die Minderwertigkeit anderer Volksgruppen zu betonen, dann ist es auch für uns eine Option, diesen Band drinzubehalten, denn er ist einer von 25 Bänden. Wenn man sich die späteren Bände anguckt, geht es in Hergés Werk doch eher darum, den Schwachen zu helfen und nicht irgendwelche rassistischen Untertöne zu transportieren. Ein besonderer Fall ist dieser eine Band – mit der Einschränkung, dass man sagen muss, dass er heute sehr überzogen und cartoonhaft wirkt. Das ist nicht etwas, was ich Volksverhetzung nennen würde. Wenn heute jemand mit einem neuen Buch käme, das so aufgemacht ist, würde man auf jeden Fall sagen: „Nein“, denn heute ist eine andere Zeit, heute erwarte ich ein anderes Problembewusstsein. Von jemandem, der das 1930/31 gemacht hat, kann man nicht dasselbe Problembewusstsein erwarten. Wobei man aber ganz klar sagen muss: Auch damals gab es sicher fortschrittliche Geister, und Hergé gehörte bestimmt nicht zu den kritischen Geistern, was das betrifft.

Nein, ganz im Gegenteil, das ist ja bekannt. Sie sagten 2010 auch, dass das Heft in England einen Warnaufkleber trage, nicht in der Kinderabteilung stehe und auch nicht als Teil des Sammelschubers mit der ganzen „Tim-und-Struppi“-Serie verkauft werde. Einen Kommentar enthält das Heft auch, wie ich selbst recherchiert habe. Ist die Lizenz da also anders als für Deutschland?
Ja. Das hat damit zu tun, dass es um 2010 in England eine Debatte gab, die sehr viel heftiger geführt wurde als bei uns. Da musste der Verlag tatsächlich mit weitergehenden Konsequenzen rechnen.

Juristische Konsequenzen?
Ich glaube mit juristischen, und mit Verkaufseinschränkungen – ich weiß das alles nur über Dritte. Deswegen haben die mit dem Lizenzgeber gesprochen und auf Grund dieser besonderen Situation die Genehmigung bekommen, das so zu machen und dann diese Warnhinweise reinzubringen. Das hatte offensichtlich eine Eskalationsstufe erreicht, wo auch der Lizenzgeber gesagt hat: Gut, bevor wir tatsächlich Gefahr laufen, dass das nicht mehr ohne Weiteres verkauft werden kann, lassen wir das zu. Das hat es so in Deutschland nicht gegeben. Und auch wenn ich immer mal wieder angefragt habe, wenn solche Debatten liefen, ist es bis jetzt immer verweigert worden. Auch in Belgien und Frankreich selbst gibt es so etwas nicht.

Der öffentliche Druck kann also bewirken, dass Lizenzbedingungen verändert werden?
Ja, auf jeden Fall. Wenn der öffentliche Druck groß genug wird, kann das passieren. Aber der muss dann schon ein gewichtiges Ausmaß erreichen.

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