Kontrapunkt zum Neoliberalismus

Das Weltsozialforum ist Geist vom Geiste seiner Teilnehmer

  • Ulrich Brand
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit 2002 nehmen jeweils zwischen 50 000 und 120 000 Menschen am Weltsozialforum teil - Suchende, die die menschliche Gesellschaft sozialer und solidarischer machen möchten.

»Eine andere Welt ist möglich!« - Dieses Motto des Weltsozialforums (WSF) ist zum Leitspruch einer heterogenen globalisierungskritischen Bewegung geworden. Die Treffen fanden u. a. in Porto Alegre, Mumbai und Dakar statt und nun wird es vom 26. bis 30. März in Tunis veranstaltet. Eine zu Beginn der Foren entwickelte und verabschiedete »Charta der Prinzipien« stellt bis heute den gemeinsamen Bezugspunkt dar.

Der Internationale Beirat des Forums hat im Sommer 2012 entschieden, dass sich das diesjährige Forum in der tunesischen Hauptstadt versammelt. Das gilt als Anerkennung der jüngsten Kämpfe und als eine Form der progressiven Intervention, denn die arabischen Rebellionen zeitigten ja nicht nur positive Ergebnisse. Islamistische und salafistische Kräfte haben bislang stärker von den Umbrüchen profitiert bzw. sie sind präsenter und an vielen Orten besser organisiert.

Auch Kairo wurde als Austragungsort diskutiert, doch die politische Situation in Ägypten wurde für ein WSF als problematischer eingeschätzt. Das mag richtig sein. Doch die Lage ist auch in Tunesien gespannt, vor allem durch die Weigerung der Regierung, das Verfassungsprojekt voranzutreiben und Wahlen zuzulassen.

Das WSF erfüllt seit seiner Entstehung verschiedene Funktionen. Nach außen hin stellt es einen wichtigen symbolischen Kontrapunkt zu den herrschenden Kräften der neoliberal-imperialen Globalisierung dar, die sich alljährlich in Davos zum Weltwirtschaftsforum (WEF) treffen. Die mediale Message ist: Hier die farbenfrohe und enorm dynamische Suche nach einer anderen Welt - dort die unter Polizeischutz tagenden Profiteure und Verwalter des Elends. Und in der Tat zeigte das WEF 2013 erneut, dass seitens der Herrschenden eher Durchhalteparolen und Hoffnung dominieren, doch keine klaren Strategien.

Es finden auf dem Forum Selbstverständigungen darüber statt, was die Dynamik der gegenwärtigen Entwicklungen in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Feldern ausmacht. Die globale Repolitisierung der ökologischen Krise um 2005 herum führte auf dem WSF zu intensiveren sozial-ökologischen Diskussionen. Die Finanzkrise ab 2008 und ihre Verbindung mit anderen Krisendimensionen wurden als »Krise der Zivilisationen« systematisch behandelt.

Auf einem WSF wird zudem besonders deutlich, dass es den Bewegungen nicht nur um Kritik geht, sondern um emanzipative Alternativen. Dabei beherrschen keine politischen Masterpläne die Diskussion, sondern es werden vielfältige Erfahrungen von Widerstand und Alternativen dargestellt und reflektiert. Und sie werden miteinander in Beziehung gesetzt, wenn etwa deutlich wird, dass Kämpfe gegen veränderte Landnutzung in Brasilien zum Anbau von Agrartreibstoffen viel mit den Auseinandersetzungen um eine andere Produktions- und Lebensweise im globalen Norden zu tun haben. Damit ist das WSF eine weltweit einzigartige Ideenbörse für den Erfahrungsaustausch über konkrete Kämpfe gegen die herrschenden Verhältnisse. Hier werden die schwierigen Suchprozesse, Hindernisse und Kontingenzen am deutlichsten.

Das Forum dient außerdem der Identitätsbildung. Zu wissen, dass andere Menschen ähnlich denken und handeln, stellt eine enorme Ermunterung für die eigene Praxis dar. Und schließlich dient es für konkrete Absprachen und Strategieentwicklungen. Hier entsteht in Face-to-face-Kommunikation jenes Vertrauen, das für ein gemeinsames Agieren in transnationalen Netzwerken notwendig ist.

Das WSF ist mit seinen organisatorischen Problemen und inhaltlichen Debatten Ausdruck der schwierigen Konstitution praktischer gesellschaftlicher Alternativen, insbesondere auf transnationaler Ebene: Das Verhältnis von Bewegungen zu Parteien und Staat ist ein thematischer Dauerbrenner. Die Rolle von professionalisierten NGOs wird ambivalent eingeschätzt. Eine zentrale Konfliktlinie kristallisiert sich zudem entlang der Frage, ob das Forum eher ein »offener Raum« bleiben oder auch ein global agierender politischer Akteur sein soll.

Jenseits aller Zweifel und Kritik am WSF hat die seit 2008 offensichtliche multiple Krise verdeutlicht, wie wichtig kontinuierliche internationale Diskussionszusammenhänge, Selbstverständigungsprozesse und Großereignisse für die globalisierungskritische Bewegung sind.

Einer der spannendsten Aspekte des Forums in Tunis dürfte sein, wie die Rebellionen in Nordafrika, die Bewegung Occupy Wall Street, die spanische M15 oder die Proteste in Griechenland eingeschätzt werden.

Aber auch historische Ereignisse wie Fukushima, die der Welt die Notwendigkeit einer anderen Energiepolitik vor Augen führte, und die daraus zu ziehenden strategischen Konsequenzen werden sicherlich Thema werden.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik in Wien und nahm an fast allen WSF teil.

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