»Ich hatte Glück«

Jonas Reckermann kombinierte 14 Jahre lang Sport und Studium

  • Lesedauer: 4 Min.
JONAS RECKERMANN wurde 2012 in London Olympiasieger im Beachvolleyball. Danach musste er seine Karriere beenden. Viele Athleten fallen an diesem Punkt in ein Loch. Reckermann spricht mit OLIVER HÄNDLER darüber, wie wichtig die duale Ausbildung ist, und fordert die Wirtschaft auf, Athleten mehr Chancen zu geben.

nd: Wie vereinbart ein Spitzensportler Beruf und Sport?
Rechermann: Bei mir war es schwierig. Ich habe ein Lehramtsstudium gemacht. Im Sommer ging das aufgrund der Reisen nie, und im Winter musste ich schauen, bei welchen Seminaren die Prüfungstage zu meinen Trainingslagern passten. Ich habe auch mein Examen in Etappen gemacht. Also: Es ist möglich, aber es ist eine Herausforderung.

Sie brauchten 28 Semester. Alles andere als die Regelzeit?
Definitiv nicht. Aber ich stehe zu der Zeit und bin stolz darauf, neben dem Leistungssport das Studium geschafft zu haben. Die Regelstudienzeit sagt ohnehin heutzutage nicht mehr viel aus. Andere Studenten müssen zwischendurch auch andere Sachen machen, um sich über Wasser zu halten.

Sporthilfe sieht sich auf gutem Weg

Die Deutsche Sporthilfe fördert all jene Spitzensportler Deutschlands, die nicht Teil der Fördergruppen von Bundeswehr, Zoll oder Polizei sind. Die Stiftung konnte nun der deutschen Wirtschaft einige Unterstützungsleistungen abringen. Mehr

Die Deutsche Sporthilfe macht die Spitzensportler den Unternehmen schmackhaft. Sie seien zielstrebige, motivierte potenzielle Arbeitnehmer. Wie passt das mit 28 Studiensemestern zusammen?
Manche Leistungssportler bekommen Beruf und Sport unter einen Hut, manche nicht. Aber bei dem vielen Training ist ein Studium in der Regelzeit fast utopisch. Ich konnte nur jedes zweite Semester studieren und musste das Examen verschieben, denn das macht man nicht eben mal mit links. Das geht nur außerhalb der Saison. Das ist mit hohem Aufwand verbunden, der viel Eigeninitiative und Organisationsfähigkeit verlangt. Kriterien, die auch in Unternehmen wichtig sind.

Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft soll nun intensiviert werden. Inwieweit hätte Ihnen das schon geholfen?
Nur bedingt, da ich keine Berufsausbildung gewählt habe, die in die freie Wirtschaft führt. Aber vielen anderen Athleten hätte es helfen können. Insofern hätte ich mir gewünscht, dass diese Programme schon viel früher ins Leben gerufen worden wären. In den letzten Jahren ist aber auch so einiges passiert: Das Elite-Plus-Programm der Sporthilfe fördert bewusst Studenten, die nicht in einer Sportförderkompanie sind. Das war ein Schritt in die richtige Richtung.

Warum sind Sie nicht zur Bundeswehr gegangen? Das wäre doch einfacher gewesen.
Erstens wurde ich ausgemustert. Ich hätte auch verweigert, denn da wollte ich nicht rein. Es kann aber auch nicht sein, dass sich ein Sportler mit 20 darauf festlegen muss, nur um überleben zu können. Du erhältst als Sportsoldat ein geregeltes Einkommen. Aber die Zeit nach der Laufbahn kannst du dir damit verbauen, weil du eventuell nicht nebenher das studieren kannst, was du möchtest.

Studien belegen, dass viele Spitzensportler unter Existenzangst leiden. Traf oder trifft das auch auf Sie zu?
Ich hatte Glück, denn mich haben von Anfang an Sponsoren aus der Wirtschaft unterstützt. Ich konnte immer planen, mit welchen Trainingslagern ich über die Runden komme. Da trifft aber nicht auf alle Sportarten zu. Ich kenne Hockeyolympiasieger, für die die Sporthilfe überlebenswichtig ist. Nach den Spielen von 2008 haben viele eine Pause eingelegt. Sie hatten nicht die Zeit, noch vier Jahre leistungsmäßig Hockey zu spielen und mussten sich um ihr Auskommen kümmern. Manche haben den Sprung zurück zum Sport dann nicht mehr geschafft.

Und im Beachvolleyball geht das einfacher.
Nicht unbedingt. Die Teams an den Position vier, fünf, sechs national haben keine Sponsoren. Sie müssen sich irgendwann entscheiden, da sie für Unternehmen nicht mehr attraktiv sind, wenn sie sich erst mit Mitte 30 das erste Mal melden. Und zu zeigen, dass man ein vollwertiges Mitglied der Arbeitswelt sein kann, ist schwer mit Leistungssport kombinierbar.

Viele Sportler fallen nach der Karriere in ein Loch, weil der Sport bis dahin das Leben bestimmte. Sie haben im Winter ihre Laufbahn verletzungsbedingt beendet. Wie geht es Ihnen jetzt?
Sehr gut. Ich musste mich direkt nach Olympia auf mein Examen vorbereiten. Das füllte die letzten Monaten aus. So blieb keine Zeit, um in ein Loch zu fallen. Ich sehe die Gefahr für mich auch nicht, weil ich jetzt eine abgeschlossene Ausbildung habe. Genau um diese Sicherheit geht es den Sportlern. Wir wollen nicht mit 18 schon wissen, dass wir irgendwann einen Job bei der Firma XY bekommen. Das kann man als Sportler nicht verlangen. Aber wir erwarten von Unternehmen, dass sie unsere Potenziale sehen und uns Chancen geben. Normalerweise wird die Bewerbung von jemandem mit meiner Studienzeit sofort rausgefiltert. Man kommt gar nicht dazu, sich zu präsentieren. Und das darf nicht sein. Es geht nicht ums Geld.

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