Frau »Krokus« nervt
Trotz bohrender Fragen zum NSU folgt man in Baden-Württemberg seichten Spuren
Irritation beendet, die vom NSU-Ausschuss angeforderten Akten sind in Berlin eingetroffen. Ob die neun Aktenordner vollständig sind, weiß nur der, der sie »geflöht« hat. Den Verdacht erhebt eine ehemalige Vertrauensperson des Landesamtes für Verfassungsschutz. »Mein Name ist Petra Senghaas ... und mein Deckname beim Landesamt für Verfassungsschutz war ›Krokus‹«, schreibt sie einleitend. Sie passe »nicht in das Muster von bezahlten VP (Vertrauenspersonen, d.R.) der Verfassungsschutzbehörden«, liest man. Sie habe die Behörden unmittelbar nach den Schüssen auf zwei Polizisten am 25. April 2007 in Heilbronn informiert, dass eine Krankenschwester das Befinden des überlebenden Polizisten Martin A. ausspähen sollte.
Dass der Landesverfassungsschutz darüber nichts in den Akten hat, besagt gar nichts. »Krokus« jedenfalls behauptet, dass die Schwester von einer bekannten Neonazi-Frau, die auch für die NPD kandidiert hat, angestiftet worden sei. »Krokus«, die zwischen 2006 und 2010 für den Geheimdienst gearbeitet hat, nannte gestern per Mail zwei weitere Namen, die damit zu tun gehabt haben könnten: Stefan R. und Alexander N. Sie erweckt den Eindruck, viel zu wissen über den »Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). So will sie Beate Zschäpe, die sich »Mandy« nannte, im Sommer 2006 in einer Wohnung in Ilshofen (Kreis Schwäbisch Hall) gesehen haben. Möglich, doch eigentlich war »Krokus« ein kleines Licht und abseits rechter Terrorstrukturen. Zudem hatte der Verfassungsschutz ihre Zuträgerschaft in einen ganz anderen Bereich verlagert.
Dresden. Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz führt offenbar 17 V-Leute in der NPD. Das geht aus einem Papier hervor, dass dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages zugeleitet wurde. In dem Gremium sitzt ein NPD-Abgeordneter.
Obwohl die NPD angeblich gegenüber den Freien Kameradschaften an Bedeutung verliert, führt das Amt in der Partei weit mehr als die Hälfte der Spitzel im rechtsextremistischen Bereich. Die Zulieferung ist der zweite Lapsus der Behörde, nachdem unlängst ein früherer V-Mann durch Indiskretionen aus dem LfV enttarnt wurde. Das Papier ist nach Informationen der »Berliner Zeitung« ursprünglich im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsantrag im Herbst vergangenen Jahres entstanden.
Für die Innenexpertin der Linksfraktion Kerstin Köditz handelt es sich bei dem Vorfall um Geheimnisverrat. »Man kann leider inzwischen sicher sein, dass nichts geheim bleibt, von dem der sächsische Geheimdienst Kenntnis hat.« hei
Im Stuttgarter Innenministerium, dessen Chef Reinhold Gall (SPD) auch mit »Grüßen aus dem Krokusland« genervt wird, hat man eine »Schwierigkeit«: »Was die Frau erzählt, ist zum Teil richtig, zum Teil spekulativ und zum Teil total falsch.« Gern bestätigt man - was die Absenderin verlangt - dass sie niemals über Strukturen des Ku Klux Klan in Schwäbisch Hall berichtet hat. Polizisten aus dem Umfeld von Kiesewetter waren involviert. Doch diese Strukturen - die unter anderem vom NSU-Untersuchungsausschussmitglied Clemens Binniger (CDU) als möglicher »Honigtopf«, also als Falle der Dienste, betrachtet werden - waren ebenso schnell verschwunden wie sie entstanden. Das war 2003. Damals blühte der »Krokus« noch nicht, sondern war ordentlich verheiratet.
Ihren Lebensgefährten Alexander G., der gleichfalls in der rechten Szene steckte und mit dem sie sich jetzt vor eben dieser Szene in Irland versteckt, lernte sie erst später kennen. Beide sind medial aktiv. Sie fütterten unter anderen die »Stuttgarter Zeitung« - um dann die Hand aufzuhalten. Sie wollten zudem angeblich bestimmen, was wie geschrieben wird. Nun fordern sie den Stopp der Berichterstattung. Weil zwei »Spiegel«-Leute angeklopften, die die Geschichten angeblich »hieb- und stichfest« finden?
Was ist das Problem am nervenden »Krokus«? Statt endlich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beschließen, folgt man halbseidenen Storys. Dabei gibt es so viele offene Fragen. Gerade im Fall Kiesewetter. Da ist man weit weg von Aufklärung. Was befragte Nach-Tat-Zeugen erzählten, deutet - so wie Phantombilder - nicht auf Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hin. Gleiches gilt für die Aussage des verletzten Polizisten A. Der hatte unter Hypnose eine ganz andere Täterbeschreibung gegeben.
Doch man fand bei der NSU-Bande die Tatwaffen - eine 9 mm-Radom-Pistole, mit der Kiesewetter ermordet und eine 7,65 mm-Tokarew, mit der A. verletzt worden war. Die Dienstwaffen der beiden Opfer lagen im vom NSU gemieteten Wohnmobil in Eisenach - neben den Leichen von Mundlos und Böhnhardt. Völlig unterbelichtet sind die Beziehungen von Blood&Honour- und anderen Nazis aus Sachsen und Thüringen nach Baden-Württemberg. Sogar aus dem Verhältnis des als NSU-Helfer angeklagten Ralf Wohlleben zu seiner Anwältin aus Karlsruhe lassen sich Fragen ableiten. Sicher ist, das Jenaer Trio fühlte sich in Heilbronn, Ludwigsburg, Stuttgart und um die NSU-Stadt Neckarsulm herum mehrfach gut aufgehoben.
Was weiß das Landesamt für Verfassungsschutz über all das? Nichts. Jedenfalls vermittelte die ehemalige Rechtsextremismus-Referatsleiterin Bettina Neumann, die auch die »Krokus«-Treffberichte auf ihrem Tisch gehabt haben muss, jüngst im Bundestagsuntersuchungsausschuss den Eindruck perfekter Ahnungslosigkeit.
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