Keine Inflation in Sicht

Zeit-Journalist Mark Schieritz über falsche Angst und Mythen vor der Geldentwertung in Zeiten der Eurokrise

  • Thomas Trares
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Ausbruch der Finanzkrise scheint Deutschland kurz vor einer Hyperinflation zu stehen. Bücher mit Titeln wie »Die Inflation kommt« oder »Sprengsatz Inflation« sind erschienen, Finanzprodukte mit Inflationsschutz kommen haufenweise auf den Markt, in den Medien ist von einer »Geldflut« oder einer »Geldschwemme« die Rede. Mal wird vor staatlichen Rettungspaketen gewarnt, mal vor der »Politik des billigen Geldes«, mal vor den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB). Doch das Einzige, was fehlt, ist die Inflation selbst. Im Mai betrug die Teuerung in Deutschland gerademal 1,5 Prozent.

Wer wissen will, wie das zusammenpasst, dem sei das Buch »Die Inflationslüge« des »Zeit«-Journalisten Mark Schieritz empfohlen. Eine solche Schrift war in Deutschland längst überfällig. Denn in keinem anderen Land der Welt hat die Angst vor der Inflation irrationalere Züge angenommen als hierzulande. Und dies kann sogar zu einem Problem werden. Etwa wenn deutsche Politiker und Ökonomen in der Eurokrise aus Furcht vor vermeintlicher Inflation die falschen Rezepte verschreiben. »Die größte Gefahr für unseren Wohlstand ist im Moment nicht die Geldentwertung selbst - sondern die Angst vor ihr«, schreibt Schieritz.

Dabei wird dieser nicht müde, auf die Mythen, Mängel und Missverständnisse in der Inflationsdebatte hinzuweisen. Dazu zählt, die Hyperinflation 1922/23 mit der Machtergreifung Hitlers in Verbindung zu bringen. Letztere fand nämlich erst zehn Jahre später statt - in der Weltwirtschaftskrise und in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. Schieritz stellt sogar in Frage, dass die Hyperinflation von der damaligen Arbeiterschaft überhaupt als derart verheerend empfunden wurde. Denn die Meinungsmacher in den Redaktionen stammten seinerzeit aus den Bürgerfamilien, und es waren vor allem deren Vermögen, die sich in Luft auflösten und deren Schilderungen, die die Geschichtsschreibung prägten.

»Ein kolossales Versagen« der Wirtschaftsexperten in der öffentlichen Debatte sieht Schieritz gar in der immer wiederkehrenden Behauptung, dass die EZB die Märkte mit »Geld überschwemme«. Tatsächlich beeinflussen kann die EZB aber nur die Zentralbankgeldmenge, also das Geld, das zwischen der Notenbank und den Geschäftsbanken zirkuliert. Die viel wichtigere Geldmenge M3 ist in letzter Zeit aber so gut wie gar nicht gestiegen. Dies tut sie erst, wenn die Geschäftsbanken mehr Kredite vergeben. Doch Europa befindet sich in der Rezession, die Kreditnachfrage der Unternehmen ist niedrig. Von einer »Geldschwemme« kann also gar keine Rede sein.

Auch wenn man bisweilen einen anderen Eindruck hat, so nimmt Schieritz das Thema Inflation sicherlich nicht auf die leichte Schulter. Vielmehr plädiert er für einen rationaleren Umgang damit. Dazu zählt beispielsweise auch, dass Deutschland mehr Inflation akzeptieren muss, wenn man ein weiteres Auseinanderdriften der Lohnstückkosten in der Währungsunion verhindern will.

Alles in allem handelt es sich bei »Der Inflationslüge« um ein fundiertes, verständlich geschriebenes Buch, das sich von anderen, oft in alarmistischem Ton gehaltenen Veröffentlichungen zu diesem Thema wohltuend abhebt. Prädikat: sehr empfehlenswert!

Mark Schieritz: Die Inflationslüge Knaur Verlag, 144 Seiten, 7 Euro

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!