Fahrt mit dem Antifa-Express

Demonstranten protestieren gegen NPD-Kundgebungen in Marzahn-Hellersdorf

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Udo Voigt hört sich gerne selbst reden. Der frühere NPD-Parteichef steht am Mittwochvormittag auf dem Parkplatz eines Supermarktes an der Köthener Straße in Marzahn. Voigt spult seine altbekannten rechtsradikale Parole von den angeblich kriminellen Ausländern ab und erbost sich, dass deutsche Familien kaum noch wüssten, wie sie Überleben sollen. Sein Vorschlag: Ausländer raus, dann würden sich das Problem lösen. Voigt agiert dabei wie jemand, der vor großem Publikum spricht. Die einzigen Zuhörer sind jedoch NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke, eine Handvoll NPD-Anhänger und eher unfreiwillig rund 350 Polizisten, die den Abstand zu den Gegendemonstranten sicherstellen sollen.

Zehn Teilnehmer hatte die NPD für ihre vier Kundgebungen im Bezirk Marzahn-Hellersdorf im Vorfeld gemeldet, die Polizei zählt auf dem Supermarktparkplatz gerade einmal sechs Rechtsextremisten. Obwohl die Nazis so tun, als würden sie mit der Aktion versuchen, die Bevölkerung im Bezirk zu erreichen, geht es der NPD allein darum, im Wahlkampf durch Provokationen auf sich aufmerksam zu machen und die Aufregung um das Ende August eröffnete Flüchtlingsheim in Hellersdorf für sich zu nutzen.

Vor der Tür eines direkt neben dem Parkplatz befindlichen Internetcafes versammeln sich ein paar Anwohner. Eher ungläubig beobachten sie die Kundgebung. »Die braucht hier keiner«, raunt ein älterer Herr in Lederjacke und meint damit die NPD. Was die Rechtsextremisten über ihr Mikrofon verbreiten, geht in den Rufen der 70 Gegendemonstranten unter. Die Polizei sorgt indes kurzzeitig für Aufregung.

Beamte des Landeskriminalamtes beschlagnahmen ein Anti-Nazi-Plakat der LINKEN und begründen dies damit, das Motiv zeige verbotene SS-Runen. Kurze Zeit später werden die Plakate wieder freigegeben, da die Rechtslage seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs im Jahr 2007 eindeutig ist. Richtet sich das verwendete Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation klar gegen diese, ist die Nutzung erlaubt. Im Fall (schon seit Jahren verwendeten) Plakatmotivs der LINKEN dürften daran keine Zweifel bestehen.

Zweifelhaft erscheint einem Gegendemonstranten das Kennzeichen des Lautsprecherwagens der Rechtsextremen. Das Nummerschild B-DM-1889 könnte ein Code für die frühere NS-Organisation Bund Deutscher Mädel sein, während die Zahl auf Hitlers Geburtsjahr hinweisen soll. Nach nicht einmal einer Stunde ist die erste von insgesamt vier Kundgebungen der Rechtsextremen beendet. Die NPD fährt weiter zur Marzahner Promenade. Dort gelingt es vier Aktivisten, die NPD-Kundgebung kurzzeitig zu stören. Die Polizei nimmt die Demonstranten zur Personalienfeststellung mit und spricht Platzverweise aus.

Viele Gegendemonstranten folgen den Rechten in einem ausrangierten gelben Doppelstockbus der Berliner Verkehrsbetriebe, der von Dirk Stegemann von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) gelenkt wird. Mit an Bord sind auch etwa zehn Flüchtlinge aus dem Camp auf dem Oranienplatz in Kreuzberg. Auch sie beschäftigen die Vorfälle rund um das Flüchtlingsheim in Hellersdorf. Der Kenianer Patrick verteilt während der Fahrt im Bus Flyer, die auf eine Aktionswoche der Flüchtlinge Anfang Oktober hinweisen. Geplant ist unter anderem eine antirassistische Demonstration durch Hellersdorf. Patrick erzählt, er finde es unbegreiflich, welcher Hass ihnen durch die Rechten entgegenschlägt.

Dass Neonazis hinter den Protesten gegen das Flüchtlingsheim stecken, hat inzwischen auch der Berliner Verfassungsschutz erkannt. Im Interview mit der »Berliner Zeitung« erklärte Verfassungsschutzchef Bernd Palenda, seine Behörde habe konkrete Hinweise darauf, dass Neonazis hinter der vermeintlichen Hellersdorfer »Bürgerinitiative« stecken. Eine Erkenntnis, die für viele Beobachter reichlich spät kommt.

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