Der zweite Jahrestag der Occupy-Bewegung ging am 17. September in New York recht unspektakulär vorüber. Gut hundert Aktivisten, viel weniger als im vergangenen Jahr, versammelten sich morgens im berühmten Zuccotti Park, in dem die Occupy-Bewegung im Herbst 2011 ihr Camp aufgeschlagen hatte. Mit Sprechchören zog die Menge, streng gemaßregelt von der Polizei, in den Washington Square Park und abends zum Times Square. Bis dahin waren es rund 300 Demonstranten, kaum beachtet von den Medien.
Großes Interesse erzeugte bei Teilnehmern wie Passanten die gratis verteilte 95-seitige Buchbroschüre »Occupy Finance«. Das Handbuch, das die Funktionsweise der Finanzindustrie erklärt, war von der agilen »Occupy Bank Working Group« erstellt worden. Die Arbeitsgruppe hatte sich innerhalb von einer Woche im Herbst 2011 im Zuccotti Park gegründet. Aus ihr ging nicht nur Aufklärerisches wie das Handbuch hervor. Inzwischen wurden auch alternative Vorstellungen zum Bankensystem der USA bekannt. Was zu Beginn von den Medien irreführenderweise als »Occupy-Bank« bezeichnet wurde, ist tatsächlich die »Occupy Money Cooperative«, eine Geldkooperative. Die Idee geht auf den aus England stammenden New Yorker Carne Ross zurück, der an den Occupy-Protesten teilgenommen hatte. Dem 46-jährigen Ex-Diplomaten war aufgefallen, dass ein gutes Viertel der US-Amerikaner aus den herkömmlichen Finanztransaktionen ausgeschlossen ist. Rund zehn Millionen Haushalte - also etwa 40 Millionen Bürger - haben wegen Armut und Pleite keinen gesicherten Zugang zu einem Bankkonto. Ihnen werde vom »profitorientierten Bankensystem der Zugang zu einem Konto verwehrt«, sagt Ross. Das Bankensystem in den USA sei »reine Schwindelei«.
Regierungsangaben zufolge war im Jahr 2011 jeder zwölfte US-Haushalt »unbanked«, das heißt ohne jegliches Bankkonto. Zwanzig Prozent der Haushalte waren »underbanked« - obwohl sie Bankkonten hatten, waren sie auf Leihhäuser angewiesen oder lebten von der Hand in den Mund. Die Zahlen sind heute mit Sicherheit nicht besser.
Die herkömmlichen Bankkarten in den USA sind mit denen in Westeuropa kaum zu vergleichen. Denn um sie besitzen zu können, muss der Kunde, der keine Tausende von Dollars an Einlagen vorweisen kann, hohe Gebühren an die Banken bezahlen. Eine Citibank-Kontokarte kostet beispielsweise 168 Dollar pro Jahr. Allerdings erfolgt der Zahlungsverkehr in den USA selbst bei kleinen Summen kaum noch in bar. Ohne Kontokarte ist ein ziviles bürgerliches Leben kaum vorstellbar.
Wer hat, dem wird gegeben. Die Habenichtse geraten aber noch mehr in die roten Zahlen. Dies ist selbst bei den sogenannten Prepaid-Plastikkarten so, die nicht an ein Konto gebunden sind. Die Inhaber können nur mit dem Geld zahlen, das sie vorher eingezahlt haben. Berüchtigt - und zum Glück inzwischen eingestellt - war die sogenannte »Kardashian Kard«: Anfangskosten 9,95 Dollar, dann monatliche Gebühren von 7,95 Dollar und ein Dollar für jede Einzahlung.
Zwei Jahre nach »Occupy Wall Street« versucht Carne Ross nun mit seiner »Occupy Money Cooperative«, eine »moralische Alternative« herzustellen. Als erster Schritt soll eine Bankkarte namens »Occupy Card« angeboten werden, die jedem zugänglich ist und monatlich 99 Cent kosten soll. Dies läge tatsächlich weit unter dem Marktpreis.
Über die Webseite (www.occupycooperative.com[1]) wie über die Netzwerke der Occupy-Bewegung machen Ross und seine rund zwölf Mitarbeiter - alle arbeiten freiwillig - auf das Projekt aufmerksam. Zunächst geht es um das Einsammeln von Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Die Kosten für die Lancierung der »Occupy Card« und die Abwicklung der Transaktionen innerhalb eines Jahres werden laut der Webseite etwa eine Million Dollar kosten. Wie weit das Projekt finanziell, personell und versicherungstechnisch fortgeschritten ist, mochte auf nd-Anfrage niemand antworten. Jedenfalls soll die Karte vom US-Einlagensicherungsfonds »Federal Deposit Insurance Corporation« amtlich abgesichert werden - so das Versprechen. Vom Finanzsystem unabhängig ist die »Occupy Card« jedenfalls nicht. Denn statt der »Occupy Money Cooperative« muss eine eingetragene Bank sie herausgeben. Womit sich der Duft des »Alternativen« oder gar »Revolutionären«, den die Occupy-Bewegung anfangs hatte, sofort wieder in Luft aufgelöst hat.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/834113.plastikgeld-fuer-die-prozent.html