EU-Gipfel bremst Merkels »Reformverträge«
Beschluss zu bilateralen Vereinbarungen nicht vor Oktober 2014 / Bundeskanzlerin trifft in Brüssel auf Widerstand
Brüssel. Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geforderte Einführung von so genannten Reformverträgen ist auf dem EU-Gipfel bis weit ins nächste Jahr verschoben worden. »Ich sage ganz frank und frei, hier wird noch viel Arbeit notwendig sein«, sagte Merkel in der Nacht zum Freitag in Brüssel. Anstatt im Juni soll der Vorschlag nun erst im Oktober kommenden Jahres wieder auf der Tagesordnung stehen.
Merkel will mit den Verträgen den Mitgliedsstaaten eine angeblich modernere Wirtschaftspolitik verpassen. Im Gegenzug soll es Geld aus Brüsseler Töpfen geben. Die Finanzierung ist jedoch nach Darstellung von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz völlig unklar. Und der Kurs der deutschen Kanzlerin ist umstritten - mit den »Reformvereinbarungen« werde den Staaten ein neoliberaler Kurs in der Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik abgepresst, sagen Kritiker.
Die Verträge bräuchten »noch ein bisschen mehr Arbeit«, meint nun zunächst auch EU-Ratspräsident Hermann Van Rompuy. Es seien am Donnerstag Grundprinzipien beschlossen worden. Eine abschließende Vereinbarung werde jedoch erst im kommenden Oktober erwartet. Der österreichische Bundespräsident Werner Fayman äußerte sich eher skeptisch. Es sei in Ordnung, freiwillige Verpflichtungen einzugehen. »Aber eben freiwillig, und das ist der entscheidende Punkt. Dass da jemand kommt und uns sagt, was wir zu tun haben, gibt es nicht.«
Merkel setzt sich schon seit längerem dafür ein, die Umsetzung von Reformen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Kommission verbindlich zu vereinbaren. Diese Partnerschaften sollen nach dem »Zuckerbrot und Peitsche«-Prinzip funktionieren: Für die Umsetzung von Reformen soll es finanzielle Hilfe geben. Im Kreis der Gipfelteilnehmer gibt es aber Widerstand gegen das Projekt: In einem Entwurf der Gipfelerklärung war noch von einem Beschluss im Juni die Rede - doch das wurde auf dem Treffen in Brüssel gekippt.
Diese erneute Verschiebung sei unter anderem den Europawahlen im Mai geschuldet, sagte Merkel. Die Kanzlerin räumte aber auch ein, dass die Beratungen schwierig seien und die Dringlichkeit offenbar nicht von allen Mitgliedstaaten gesehen werde, da die »wirtschaftspolitische Koordinierung von den Märkten scheinbar nicht so wichtig« genommen werde. »Wir haben uns sehr daran gewöhnt, wenn die Finanzmärkte die Zinsen steigen lassen, dann wird agiert. Und wenn nicht, dann wird nicht agiert«, kritisierte die Kanzlerin.
Angesichts der Widerstände war Merkel nach eigenen Worten sogar bereit, einen Beschluss bis Dezember 2014 aufzuschieben. Dagegen hätten sich aber EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso ausgesprochen, deren Amtszeit vorher ende. Aufgeben will Merkel das Projekt allerdings nicht. »Wir werden da Millimeter für Millimeter vorankommen«, sagte die Kanzlerin. »Aber es ist eine Millimeterarbeit, das gebe ich auch zu.«
Als »großen Erfolg« begrüßte Merkel die Einigung der EU-Finanzminister vor dem Gipfel auf den zweiten Pfeiler der europäischen Bankenunion. Dadurch wird die europäische Bankenunion durch ein Regelwerk und einen europäischen Fonds zur Abwicklung von Pleitebanken ergänzt. Die Kanzlerin erwartet nun aber noch »intensive Verhandlungen« mit dem Europarlament. »Das wird nicht ganz einfach.«
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hatte die Beschlüsse auf dem EU-Gipfel heftig als unzureichend kritisiert. »Eine Bankenunion macht man entweder richtig oder besser gar nicht«, sagte er in einer Rede vor den Staats- und Regierungschefs. »Deshalb wird das Europäische Parlament die Beschlüsse in dieser Form nicht mittragen.« Die Zustimmung der Abgeordneten ist jedoch nötig, um das Abwicklungsregime aufzubauen. Agenturen/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!