Platzhirsch-Gehabe dogmatischer Linker

Sebastian Leber ärgert sich über Leute, die glauben, sie hätten den reinen Antifaschismus für sich gepachtet. Eine Replik auf Jürgen Amendt

  • Lesedauer: 3 Min.

Über die meisten unsinnigen Texte in Zeitungen kann man sich einfach ärgern und hinwegblättern. Aber bei manchen sitzt man fassungslos da und denkt sich: Meine Fresse! Vor einer Woche wurde ich in dieser Zeitung von Jürgen Amendt verspottet.

Mein Vergehen: Ich hatte es tatsächlich gewagt, mich im »Tagesspiegel« öffentlich bei der Antifa zu bedanken - für ihr stetiges, unnachgiebiges Engagement gegen Rechtsextremismus, für gelungene Demo-Blockaden und dafür, dass Nazis in meinem Kiez niemals die Meinungshoheit haben werden. Neben viel Zustimmung und sachlicher Kritik hagelte es auch Beleidigungen. Die schäbigsten Reaktionen kamen logischerweise von rechten Wirrköpfen und Hetzern, das war klar. Aber fast genauso bösartig - und das hat mich wirklich empört - fiel der Text im »neuen deutschland« aus.

Jürgen Amendt über das Plädoyer: »Danke, liebe Antifa!«

Die ganze Stadt Berlin treibt derzeit nur ein Thema um: Hat der Leber nun recht oder nicht? Nun gut, es ist nicht die ganze Stadt und eigentlich sind es nur die üblichen Nervensägen der Online-Communities des »Tagesspiegel«, die sich aufregen. Im vorliegenden Fall hatte ein Redakteur dieser Zeitung ein Experiment gewagt. Mal sehen, was passiert, dachte sich wohl dieser Sebastian Leber. Mal sehen, was passiert, wenn ich in einem Artikel die autonome Antifa in den höchsten Töne dafür lobe, dass sie mir das Nazi-Pack vom Hals hält. Mehr

Jürgen Amendt fantasiert sich dort abseitige Gründe herbei, die mich zu meinem Antifa-Lob motiviert haben könnten. Er versucht, mich als »blonden Jungredakteur« abzustempeln, dem es gar nicht um die Sache gehe, sondern der bloß ein »Experiment« anstelle. Noch anmaßender: Amendt vermutet in seiner Glosse, ich dulde nur deshalb keine Nazis in meiner Umgebung, weil sie mein »24-Stunden-Partygefühl« beeinträchtigen würden.

Die Bedrohung von »Andersdenkenden oder Andersaussehenden« durch Nazis störe mich dagegen weniger. Einen Beleg für diese Quatschthese hat er auch parat: Ich hätte schließlich ein Buch über das Berliner Nachtleben veröffentlicht. Außerdem behauptet der Kollege allen Ernstes, dass mir Umweltschützer genauso unlieb seien wie Rechtsextreme.

Nun liegt Jürgen Amendt bei der Einschätzung meiner Person in jedem einzelnen Punkt grotesk daneben (abgesehen von dem Buch, das habe ich tatsächlich geschrieben). Er hätte es natürlich besser wissen können, wenn er sich bei seiner Recherche nicht mit der ersten Trefferseite auf Google zufrieden gegeben hätte.

Doch das ist gar nicht der wesentliche Punkt. Ich könnte auch der Moderator des ZDF-Sommergartens sein oder mein Geld mit dem Verkauf von Plüschtieren verdienen: Sobald ich Position zum Thema Antifaschismus beziehe, möchte ich verdammt nochmal an meiner Aussage gemessen werden und nicht daran, womit ich mein Geld verdiene oder welche Haarfarbe ich habe.

Leider handelt es sich hier nicht bloß um den Blackout eines Kollegen, sondern um ein Platzhirsch-Gehabe mancher dogmatischer Linker, das in den vergangenen 20 Jahren zum Glück teilweise abgelegt wurde. Schon klar, Herr Amendt, Sie vertreten ganz sicher den reineren, avantgardistischen Antifaschismus als ich, und meinen finden sie verkürzt und unreflektiert oder was auch immer. Aber hätten Sie Ihre Arroganz in diesem Fall nicht für sich behalten können? Glauben Sie, Ihr Beitrag war hilfreich in der jetzigen Debatte? Wenn es um Widerstand gegen Rechts geht, gilt es, die Bürgerlichen einzuladen, nicht von oben herab abzukanzeln. Ich kenne das Gefühl, manchmal jemandem einen reinwürgen zu wollen. Das Thema Antifaschismus eignet sich dafür nicht.

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