Das gesichtslose Gesicht des Drohnen-Krieges
Vor nicht allzu langer Zeit sorgte das US-amerikanische TIME-Magazin für Aufsehen, als man auf der Titelseite das Porträt einer junge Afghanin mit abgetrennter Nase und Ohren sehen konnte. Als Täter wurden damals fälschlicherweise die Taliban genannt. Das Gesicht von Aischa Raschid wird wohl kein Cover »zieren«. Eine US-amerikanische Drohne nahm ihr nicht nur die Familie, sondern zerfetzte auch das Gesicht des vierjährigen Mädchens.
Es war im vergangenen Jahr, als in der ostafghanischen Provinz Kunar eine dieser unbemannten Tötungsmaschinen den Pick-Up der Familie traf. Vierzehn Insassen, hauptsächlich Frauen und Kinder, wurden dabei getötet. Lediglich Aischa überlebte – dabei verlor sie eine Hand und zog sich schwere Verletzungen am Unterkörper zu, während von Nase und Augen nichts mehr übrig blieb.
Erst hatte Aischa ihre Familie, dann ihr Gesicht verloren
Nachdem Aischas Verwandte von dem Angriff erfuhren, begaben sie sich zum Anschlagsort – und fanden sie. In einem Krankenhaus im nahegelegenen Asadabad konnte ihr jedoch kaum geholfen werden. Aischa hatte nicht nur ihre Familie, sondern auch ihr Gesicht endgültig verloren.
Zum gleichen Zeitpunkt gab die NATO bekannt, dass bei dem Drohnen-Angriff in Kunar ausschließlich militante Taliban-Kämpfer getötet wurden. Von Aischa und ihrer Familie wollte man nichts wissen. Ein Verhalten, das längst niemanden mehr überrascht. »Zivile Opfer in abgelegenen Gegenden Afghanistans werden von den Besatzern nicht selten als Taliban-Kämpfer bezeichnet. Oftmals ist die Sache schnell vergessen«, sagt Waheed Mozhdah, ein afghanischer Publizist und politischer Analyst.
Ein ähnlicher Vorfall wurde unter anderem vom US-amerikanischen Journalisten Jeremy Scahill aufgedeckt. Damals wurden in der östlichen Provinz Paktia mehrere Zivilisten von US-Soldaten massakriert. Erst nachdem Journalisten über den Vorfall berichteten, gab die NATO zu, dass es sich nicht um tote Taliban gehandelt habe.
Ohne Wissen der Familienmitglieder wurde Aischa fortgebracht
Hamid Karzai besuchte Aischa später in Kabul. In einem Interview mit der Washington Post beschrieb der afghanische Präsident, wie er in Gegenwart des gesichtslosen Mädchens in Tränen ausbrach. »An diesem Tag habe ich mir ihren Tod gewünscht und mir gedacht, dass es besser gewesen wäre, wenn sie gemeinsam mit ihrer Familie begraben worden wäre«, sagte Karzai. Aischa, so der Präsident, werde wohl bald zur Behandlung in die USA gebracht
Mittlerweile befindet sich Aischa nicht mehr in Afghanistan. Ihre Familienmitglieder, die sich bis dato um sie gekümmert haben, wussten anfangs nicht, wohin das Mädchen gebracht wurde. Ihrerseits gab es auch kein Einverständnis für Aischas Behandlung in den Vereinigten Staaten. Die Familie – allen voran Aischas Onkel – ist der Meinung, dass das Mädchen absichtlich weggebracht wurde, um sie aus dem Rampenlicht zu schaffen. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass das Mädchen ohne Gesicht zum traurigen Symbol gegen den illegalen US-Drohnen-Krieg, der nicht nur in Afghanistan stattfindet, geworden wäre.
Auch in Jemen, Somalia oder Pakistan gibt es Kinder wie Aischa
Für die vierzehn Toten wurde Aischas Familie seitens der US-Regierung finanziell entschädigt. Für jedes Opfer erhielt sie 2000 US-Dollar. Geld, was die Familie nicht haben will und mit dem man niemanden wiederbeleben kann. »Sie haben unsere gesamte Familie getötet. Nun haben sie auch noch Aischa«, meint einer ihrer Onkel heute. Dass diese sich tatsächlich in den USA befindet, ist mittlerweile Gewissheit. Kurz nachdem erwähnten Interview mit Karzai, arrangierte der afghanische Staatschef ein Telefongespräch zwischen dem Kind und ihrer verbliebenen Familie. Anscheinend fragt Aischa auch heute noch nach ihrem jüngeren Bruder, der damals ebenfalls den Tod fand.
Aischas Schicksal ist kein Einzelfall. Kinder wie sie lassen sich an allen Orten finden, über denen die Killer-Drohnen der Vereinigten Staaten schweben – ob nun im Jemen, in Somalia, in Pakistan oder in Afghanistan. Es sind Kinder, deren Schicksale es nur selten in die Schlagzeilen schaffen. Ihre entstellten oder zerfetzten Gesichter kennt so gut wie niemand. Sie landen weder auf die Titelseite eines renommierten Nachrichtenmagazins, noch werden ausführliche Fernsehdokumentationen über sie gedreht.
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