Warten auf das Fax aus Kabul

Der erste Flüchtlingssportkongress in Berlin zeigt Möglichkeiten der Integration in Fußballvereinen, doch die bürokratischen Hürden sind hoch

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.
In Berlin ist die Dichte an Vereinen so groß wie nirgendwo in Deutschland. Dennoch ist es für Flüchtlinge schwer, Fußball zu spielen.

Breschkai Ferhad ist überwältigt, als sie am Freitag den ersten Berliner Flüchtlingssportkongress unter dem Motto »Fußball - ein Spiel ohne Grenzen?« im Abgeordnetenhaus eröffnet. Mit diesem Interesse hatten weder die Moderatorin von der Bürgerstiftung Berlin noch die Organisatoren vom Projekt »Champions ohne Grenzen«, das sich der sportlichen Zusammenarbeit mit geflüchteten Menschen in Berlin widmet, gerechnet. Und auch Anja Schillhaneck nicht, Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses, deren Grünen-Fraktion den Kongress mit ausrichtet. Der Saal ist komplett gefüllt, als Ferhad die Teilnehmer begrüßt. Zunächst auf Deutsch, dann auf Englisch, Französisch, Afghanisch und Arabisch: Neben Vereins- und Verbandsvertretern aus ganz Deutschland sind auch viele Geflüchtete gekommen. Einige von ihnen spielen bereits in Amateurvereinen wie dem FC Internationale oder dem FSV Hansa 07 in Berlin, andere haben sich Flüchtlingssportprojekten angeschlossen.

In Berlin ist die Dichte an Fußballvereinen so groß wie nirgendwo sonst in Deutschland. »Es gibt einen Riesenbedarf in der Stadt, Flüchtlingen zu helfen«, beschreibt Gerd Thomas vom FC Internationale die Situation. Fußball als globale Sportart Nummer eins kann eine Abwechslung zum tristen und unsicheren Alltag sein. Dennoch spielen nur wenige Flüchtlinge in einem Verein, was meist die Voraussetzung ist, um regelmäßig an einem Ligaspielbetrieb teilzunehmen oder Trainingszeiten auf einem vernünftigen Sportplatz zu bekommen. Denn so viele Vereine es auch gibt, sie teilen sich zu wenige Plätze und Hallen mit Schulen. Auch aufgrund der Sparpolitik des Senats und der Bezirke sind viele mittlerweile in einem erschreckenden Zustand. Und da ist da noch die »Scheiß-Bürokratie«, diese Formulierung fällt während des Kongresses nicht nur einmal.

Und zwar von Vertretern der Berliner Amateurvereine des Berliner Fußballverbandes (BFV). Der Verband gilt als einer der progressivsten in Deutschland, viele seiner Mitglieder sehen den Fußball nicht nur als möglichst unpolitische Freizeitbeschäftigung. Und so konnte Mehmet Matur, im Vorstand des BFV für Integration und Migration verantwortlich, dann auch verkünden, dass sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und seine 21 Landesverbände jetzt eines der größten bürokratischen Ärgernisse annehmen werden: dem Problem der Spielerpässe. Was bei Spielerinnen und Spielern deutscher Herkunft nicht mehr als einen Verwaltungsvorgang darstellt, wird für geflüchtete Menschen, zu einem Akt, der nicht nur aufgrund sprachlicher Barrieren manchmal kafkaeske Züge aufweist.

Zunächst muss bei Minderjährigen eine erziehungsberechtigte Person unterzeichnen. Bei allein eingereisten minderjährigen Flüchtlingen ist das schon ein Problem, zumal Verfahrenspfleger oder bestellte Betreuer aus den Verwaltungen, die unterzeichnen dürften, aufgrund Personalmangels in den Institutionen oft chronisch überfordert sind. Die steigende Zahl von Flüchtlingen in Berlin - mittlerweile leben über 10 000 von ihnen in 46 Sammelunterkünften, fast zehntausend in eigenen Wohnungen - verschärft die Situation weiter. Die zeitweilige Schließung der zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber oder der Beschluss des Senats über den Bau von Containerdörfern zeugen davon.

Der zweite Schritt zum Spielerpass ist noch komplizierter: Will sich ein Geflüchteter in einem Verein anmelden, gilt das als internationaler Wechsel und wird laut den Regularien des Weltverbandes FIFA nicht anders behandelt als der Wechsel von Toni Kroos von Bayern München zu Real Madrid. Auch wenn es nur um einen Berliner Kreisligisten geht: Will dort ein afghanischer Spieler spielen, muss der BFV über den DFB eine Meldung zum Beispiel via Fax an den afghanischen Verband geben, der die Freigabe bestätigt. Diese FIFA-Regel soll verhindern, dass ein Spieler in zwei Klubs unterschiedlicher Staaten gleichzeitig gemeldet ist und spielt. Die Vorstellung aber, dass ein afghanischer Asylbewerber aus Berlin am Wochenende nach Kabul jettet, um dort »nebenbei auch noch zu spielen«, erscheint nicht zuletzt den Vertretern des BFV und der Berliner Vereine absurd. Und im Zweifel ist das Faxgerät in Kabul nicht angeschlossen oder kaputt. Zusätzlich kritisch wird die Situation bei politisch Verfolgten: Sollte der syrische Geheimdienst über den Fußballverband mitbekommen, wo genau in Berlin ein Oppositioneller jetzt gerade gemeldet ist?

»Es braucht immer Menschen, die wollen, dass anderen Menschen geholfen wird«, fasst Gerd Thomas zusammen. Deren Initiativen, sei es in Vereinen wie Babelsberg 03, der am 18. Oktober einen ganzen Regionalligaspieltag für einen Aktionstag zum Thema Asyl und Flüchtlingspolitik nutzt oder der BSG Chemie Leipzig, die ein Nachwuchsprojekt mit Flüchtlingen gestartet haben, stehen aber oft vor riesigen Hindernissen. Für die Arbeit mit traumatisierten Menschen, die oftmals nicht oder nur wenig Deutsch sprechen, ist professionelle Unterstützung nötig. Hierfür sei viel mehr Hilfe von Seiten der Verwaltung, aber auch aus den Flüchtlingsunterkünften nötig: Aus »Einfach mal loslegen« wird sonst schnell die Frage: »Wie weiter?« Es fehlt auch an Informationen in den Unterkünften selber, wie und wo sich Flüchtlinge sportlich betätigen können. Von Kongressteilnehmern, die mit diesen Flüchtlingsheimen zusammenarbeiten, wurde der Verdacht geäußert, dass diese Integration nicht gewollt sei: »Hier wird von Seiten der Behörden bewusst ein Schnitt gemacht, Integration verhindert.«

Dabei könnten vor allem die Vereine von den Flüchtlingen profitieren. Da kämen ja nicht einfach Menschen, die nur etwas wollen, nämlich spielen, so Barbara Messow von Hansa 07: »Da sind Menschen mit viel Potenzial, die sich einbringen können: als Trainer, als Ehrenamtliche.« Gerade im Amateurfußball sind die Klagen über fehlende Helfer und Betreuer groß. Auf der anderen Seite leben immer mehr Flüchtlinge hier, die sich integrieren möchten und vor allem eines, wenn auch erzwungenermaßen, im Überfluss haben: Zeit. Die ließe sich viel besser mit Sport als mit anreizverminderter Langeweile und bürokratischen Hürdenläufen füllen.

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