Ein weiteres Kapitel für den 18. März

Hans-Peter Kartenberg über die EZB-Feier am Tag der politischen Gefangenen, Blockupy und warum die Linke den Ausbau staatlicher Repressionsapparate unterschätzt

  • Lesedauer: 3 Min.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass ausgerechnet am Tag der politischen Gefangenen die Europäische Zentralbank ihre Eröffnung feiern wird?

Ich dachte: Super. Das ist ohnehin unser Tag. Jetzt geben sie uns die Gelegenheit, ein weiteres Kapitel der Geschichte des 18. März hinzufügen. Natürlich schmunzelte ich auch, dass jetzt, zumindest indirekt, auch Blockupy zur Kenntnis nehmen muss, dass zur Kritik der autoritären Krisenpolitik auch die Kritik an der autoritären und repressiven staatlichen Politik der europäischen Staaten gehört.

Auf die Geschichte des Tages wurde in Aufrufen und auf Plakaten hingewiesen.

Blockupy und die Interventionistische Linke haben den 18. März als Tag der Pariser Commune aufgegriffen - allerdings nicht als Tag der Solidarität mit unseren gefangenen Genossinnen und Genossen in aller Welt, nicht als Aktionstag gegen staatliche Unterdrückung. Trotzdem: Es ist gut so; wir sind da und machen das Thema an jedem Punkt, wo wir können, deutlich.

Die Frage der politischen Gefangenen hat in den sozialen Bewegungen heute nicht mehr die Bedeutung wie noch vor 20, 30 Jahren. Woran liegt das?

Weil es kein Kollektiv revolutionärer Gefangener in Deutschland gibt, das im Knast soziale und politische Kämpfe führt. Dass in den Jahren nach 1972 die Frage in den Bewegungen eine Bedeutung bekam, liegt ja zuerst an den Kämpfen, die die Gefangenen führten. Es stimmt natürlich: Die selbstverständliche Solidarität mit gefangenen Genossinnen und Genossen, die Einbindung dieser Frage in gemeinsame Diskussionen der radikalen Linken muss neu entwickelt werden. Aber leider hat die Beteiligung der radikalen Linken an gesellschaftlichem Protest gegen den Ausbau staatlicher repressiver Macht, gegen die Normalisierung von Folter und autoritärer Strukturierung der Gesellschaft nicht das notwendige Augenmerk.

Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Libertad! hält die reaktionäre Formierung der Gesellschaft der metropolitanen Staaten seit 9/11 für einen der zentralen Momente politischer Veränderung - eben die andere Seite des »nicht endenden Krieges gegen den Terror«. Das prägt bereits seit Jahren die Bedingungen sozialen Protestes und Widerstands - und doch tun große Teile der Linken so, als würde es sie nicht tangieren. Das sind, wie der Ausbau des Repressionsapparats seit den 1970ern, jedoch Prozesse mit jahrzehntelanger Wirkung. Das wird völlig unterschätzt.

Was wird am Mittwoch in Frankfurt passieren?

Wir hoffen auf großartige Dinge. Wir hoffen, dass wir mit sehr vielen Menschen und mit vielfältigen kreativen Mitteln einen Schritt dahin kommen, dass auch hier der soziale Streik als Mittel des Widerstandes gesetzt wird. Unser Begriff von Metropolenstreik ist, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, Projekte von Herrschaft und Ausbeutung lahmzulegen: »Aus Schwäche Stärke machen«, wie das zu anderen Zeiten genannt wurde. Der internationale Austausch und die gemeinsame Aktion, die von Blockupy in den vergangenen Jahren erreicht wurden, machen Mut.

Dass diese gute Entwicklung auch bei der Gegenseite längst angekommen ist, zeigt die fast schon routinemäßige Verwandlung der Stadt Frankfurt in den polizeilichen Ausnahmezustand. Die Verbotsorgie von 2012, der Kessel von 2013 und heute der vorbereitete »größte Polizeieinsatz, den Frankfurt je gesehen hat« hatten schon von Anfang an das Moment einer politischen Konfrontation, die über Blockupy hinausweist.

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