Zwischen Frauenfront und »kroatischer SYRIZA«

Kommende Chance auf antikapitalistische Wahlallianz? In Kroatien ist das politische System in Bewegung geraten / Der Erfolg in Griechenland bringt einer sich neu formierenden Linken in Südosteuropa Rückenwind. Teil 3

  • Boris Kanzleiter
  • Lesedauer: 3 Min.
SYRIZA macht Schlagzeilen - vor allem das politische Ringen mit den Gläubigern. Aber welche Folgen haben die Entwicklungen in Griechenland in der unmittelbaren Nachbarschaft? Eine kleine Serie über die Linke in Südosteuropa. Teil 3: die Linke in Kroatien.

Auch in Kroatien ist in den vergangenen Jahren das Parteiensystem in Bewegung geraten. Ähnlich wie in Slowenien öffnet sich dabei auch ein politischer Raum für eine neue Linke. Indikatoren dafür sind Phänomene wie die Hrvatski Laburisti – Stranka rada (Kroatische Arbeiter – Partei der Arbeit), die Partei für Nachhaltige Entwicklung Kroatiens (Održivi razvoj Hrvatske – ORaH) und die Bewegung Lebende Wand (Živi zid), die in den vergangenen Jahren beachtliche Wahlerfolge erzielen konnten.

Alle drei Formationen sind zwar politisch diffus und organisatorisch instabil, positionieren sich aber tendenziell links der Sozialdemokratie (SDP). Die Kroatischen Arbeiter des Gewerkschaftsfunktionärs Dragutin Lesar thematisieren soziale Ungerechtigkeit. ORaH wurde von der abtrünnigen SDP-Abgeordneten und ehemaligen Umweltministerin Mirela Holy gegründet und betont ökologische Fragen. Die Bewegung Lebende Wand mobilisiert gegen Zwangsräumungen und die Beschlagnahmung von Wertgegenständen durch Gerichtsvollzieher. Ihr Sprecher Ivan Vilibor Sinčić erreichte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2014 überraschende 16,4 Prozent.

Ein wesentlich klareres linkssozialistisches Profil hat die neu gegründete Front der Arbeiter (Radnička Fronta, RF), die sich selbstbewusst als »kroatische SYRIZA« präsentiert. In der RF sind AktivstInnen aus linken antikapitalistischen Gruppen und einige Gewerkschafter aktiv. Die Organisationsstruktur ist noch schwach und auf einige Städte (Zagreb, Osijek, Rijeka, Pula, Split) beschränkt. Dennoch konnte die RF innerhalb weniger Monate an erheblicher medialer Präsenz gewinnen und wird zu den kommenden Parlamentswahlen antreten, die voraussichtlich im Spätherbst 2015 stattfinden.

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Für die mittelfristig mögliche Etablierung einer Partei der sozialistischen Linken oder – vielleicht sogar erfolgsversprechender – einer antikapitalistischen Rot-Grünen Wahlallianz ist vor allem die Positionierung der linksorientierten Nichtregierungsorganisationen, aktivistischen Gruppen, GewerkschafterInnen und kritischen Intellektuellen entscheidend. In diesem Bereich einer »gesellschaftlichen Linken« kam es in den vergangenen Jahren zu bedeutenden Entwicklungen. Vor allem die Proteste an den kroatischen Universitäten 2009 waren eine wichtige Zäsur. In der 35-tägigen Blockade der Fakultäten in Zagreb und anderen Städten entwickelte sich eine Massenbewegung mit einer antikapitalistischen Ausrichtung. 2010 kam es in Zagreb zu starken Protesten gegen die Kommodifizierung urbaner Räume. Ausgehend von diesen beiden Bewegungen – und vielen anderen Protesten wie die Bewegungen gegen den Eintritt Kroatiens in NATO und EU – entwickelte sich eine junge radikale Linke, die sich seither in Bereichen von Wissenschaft, Kultur, Medien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen etablieren kann.

Die Trägergruppen der Studierendenproteste von 2009/10 haben beispielsweise das »Subversive Festival« organisiert, das zwischen 2011 und 2013 eines der größten Treffen linker Intellektueller in Europa darstellte. Im Medienbereich konnte sich eine Reihe von linken JournalistInnen als TrägerInnen eines antikapitalistischen Diskurses etablieren. 2012 wurde die qualitativ ausgesprochen gute kroatische Ausgabe von »Le Monde Diplomatique« gegründet. Linke AktivistInnen begannen eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem klassenkämpferischen Teil der Gewerkschaften. Eine Frauenfront für Arbeitsrechte und soziale Rechte (Ženska fronta za radna i socijalna prava) wurde gegründet, die linke und feministische NGOs und Frauensektionen der Gewerkschaften vereint. Eine erfolgreiche Kampagne linker Gruppen mit Gewerkschaften gegen die Privatisierung der Autobahnen wurde durchgeführt, ebenso Projekte zur Etablierung lokaler Wirtschaftskreisläufe.

Boris Kanzleiter ist Leiter des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Südosteuropa mit Sitz in Belgrad. Veröffentlichungen u.a.: Die »Rote Universität« – Studentenbewegung und Linksopposition in Belgrad 1964-1975, Hamburg 2011. Die Langfassung des Textes erschien zuerst in »Sozialismus« Juni 2015

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