»Ein Rennen gegen die Zeit«
US-Umweltschützerin Mary Anne Hitt über Erfolge im Kampf gegen Kohlekraftwerke
Hat die »Beyond-Coal«-Kampagne des Sierra Clubs die Position der USA in den UN-Klimaverhandlungen in Paris gestärkt?
Ohne die Kampagne wären wir nicht in dieser Position. Ich denke, Obama würde als Person immer noch beim Klimaschutz anführen wollen. Aber er müsste sich viel stärker mit einem mächtigen Gegner auseinandersetzen, als er es heute muss: der Kohleindustrie. Der Grund, warum Obama seinen Clean Power Plan und die Verhandlungen vorwärts getrieben hat, liegt darin, dass wir nicht mehr so stark von der Kohle abhängen. Die Kraft der Graswurzelbewegung hat das möglich gemacht.
184 geplante Kohlekraftwerke wurden in den USA zurückgezogen, für 205 bestehende wurde ein Abschalten angekündigt. Wie haben Sie dem nachgeholfen?
Für den Kraftwerksbau sind Genehmigungen notwendig. Für die Landnutzung, die Luftreinheit, die Wasserreinheit. Wir mussten eine von ihnen verhindern - entweder mit juristischen Mitteln oder mit politischem Druck. Wir nutzen alle Werkzeuge der Demokratie - Gerichtsverfahren, Organisation, Lobbying.
Mary Anne Hitt kam über den Protest gegen die Sprengung von Berggipfeln in Tennessee zur »Beyond Coal«-Kampagne der US-Naturschutzorganisation Sierra Club. Ihre größten Erfolge erreichte Hitt 2012, als die USA eine Regulierung des Quecksilberausstoßes bei Kohlekraftwerken beschlossen und ein altes Kraftwerks in Chicago stillgelegt wurde. Mit ihr sprach Benjamin von Brackel.
War der Einstieg von Michael Bloomberg, Ex-Bürgermeister von New York, im Jahr 2011 der Wendepunkt für die Kampagne?
Ja. Er gab uns die Ressourcen, die wir brauchten: 50 Millionen Dollar zunächst. Er hob uns auf ein nationales Level. Uns kannte davor kaum jemand, obwohl wir all die Kohlekraftwerke verhindert hatten! Bloomberg ist außerdem ein Geschäftsmann - und damit ein unüblicher Alliierter für die Umweltschützer. Er war vom Start weg sehr direkt: Wir müssen die Kohle in den USA loswerden, weil wir im 21. Jahrhundert keine Energieversorgung mehr benötigen, die Menschen umbringt, sagte er. Mein erster Eindruck war: Was für ein Kämpfer, wie kühn, wie aggressiv!
Der Sierra Club hat ein neues Ziel ausgegeben: die Kohleflotte bis zum Jahr 2025 um die Hälfte zu reduzieren. Was macht Sie sicher, dass Sie das erreichen können?
Wir haben die Strategie geändert, weil wir mehr Erfahrung haben. Es gibt ein Drittel weniger Kohlekraftwerke als vor ein paar Jahren. Zudem gelten die neuen Regeln der US-Umweltbehörde zu Quecksilber, Kohleasche und Wasserverschmutzung. Und der Clean Power Plan legt den CO2-Standard für Kraftwerke fest. Die Industrie muss also neue Anforderungen erfüllen. Die treten gerade in Kraft - und eröffnen neue Möglichkeiten, die wir nutzen können. Außerdem sind in manchen Staaten Wind und Solar billiger als Kohle. Als wir anfingen, war das noch nicht der Fall.
Wann wird das letzte Kohlekraftwerk in den USA vom Netz gehen?
Unser Ziel ist ein kohlenstofffreies Netz 2030.
Die Republikaner im Senat versuchen immer wieder, den Clean Power Plan zu blockieren.
Das zeigt, dass die Kohlelobby nach wie vor Macht hat. Der Clean Power Plan ist wichtig, aber er ist nicht der Königsweg und nicht unsere einzige Hoffnung. Das ist eine unserer Stärken in der Strategie. Obama hat sein Veto eingelegt. Selbst wenn ein Republikaner nächster Präsident wird, wäre es schwer, diese Regelung auszuhebeln. Die Energieunternehmen machen bereits Geschäftsentscheidungen. Sie brauchen Sicherheit und richten sich nach internationalen Klimaschutzvorgaben aus - deshalb war Paris so wichtig.
Wenn Kraftwerke in den USA schließen, ist das eine Sache. Die Kohle wird allerdings weiter gefördert und etwa nach Asien exportiert. Wird das Problem nur verlagert?
Wir exportieren etwa zehn Prozent der Kohle. Bisher hat sich das nicht dramatisch verändert. Es ist nicht sehr wirtschaftlich, die Kohle über die Weltmeere zu verschiffen. Die großen Vorkommen liegen im Westen der USA, die Kohle könnte nach Asien geliefert werden. Aber den Häfen fehlt es an Größe und Kapazität. Die Industrie will große Exportterminals an der Westküste errichten, sieben sind in Planung. Mit unserer Bewegung haben wir drei oder vier von ihnen gestoppt. Wir nutzen die gleichen Taktiken wie beim Stopp der Kraftwerke. Unsere Strategie ist es, die Nachfrage zu senken und die Exporte zumindest auf dem derzeitigen Level zu halten - um mehr Kohle im Boden zu lassen. Die Aussichten für die Kohle sehen immer schlechter aus. Aber wir befinden uns in einem Rennen gegen die Zeit, und müssen diese Kräfte beschleunigen.
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