30 Stunden sind genug
Treiber der Digitalisierung sind die Unternehmen und ihr Interesse – ihnen geht es um mehr Rendite. Dagegen brauchen Gewerkschaften und Linke neue Antworten. Ein Gastkommentar von Michael Schlecht
Sie ist derzeit die heiße Sache: Die »Digitalisierung 4.0« oder »Industrie 4.0«, laut ihren Fans die »vierte industrielle Revolution«. Dies bedeute »extreme Automatisierung und Vernetzung«, heißt es. Die Unternehmer bringen sich schon mal in Stellung: Sie fordern längere Arbeitszeiten, mobilere und flexiblere Arbeitszeiten zur Bewältigung der neuen »Herausforderungen«. Ein genauer Blick zeigt jedoch: Ökonomisch betrachtet ist diese »Revolution« gar nichts so Neues. Und zweitens ist sie keine Naturgewalt, der wir uns beugen müssen, sondern die wir gestalten können.
Unter den Stichworten »Industrie 4.0« und »Digitalisierung« werden derzeit viele technische Neuerungen zusammengefasst: Fahrerlose Autos, 3-D-Drucker oder künstliche Intelligenz. Maschinen können per Software gesteuert und miteinander vernetzt werden, über das Internet werden sie gewartet. Dabei werden Daten gesammelt, die für neue Geschäfte oder Produktionsprozesse zur Verfügung stehen.
Allgemein gesagt ermöglicht die Digitalisierung den Unternehmen eine Veränderung der Produktionsprozesse und Betriebsabläufe. Technisch mag das aufregend sein. Ökonomisch ist der Zweck altbekannt: Steigerung der Produktivität zur Steigerung der Rendite oder des Gewinns. So weit, so wenig revolutionär.
Dennoch bereitet derzeit die globale Elite den Rest der Menschheit auf die Veränderungen vor - mit unüberhörbaren Drohungen. Das diesjährige Weltwirtschaftsforum (WEF), wo sich die Mächtigen der Welt treffen, wählte die Industrie 4.0 zu ihrem zentralen Thema. Sieben Millionen Jobs, so ein Bericht für das WEF, würden verloren gehen. Die Lohnabhängigen müssten sich anpassen an den Wandel, lebenslang lernen, flexibler werden.
In die gleiche Kerbe haut der deutsche Arbeitgeberverband BDA: In seinem Positionspapier zur Digitalisierung sieht er eine zunehmende »Bedeutung von Werk- und Dienstverträgen«, von Zeitarbeit und befristeter Beschäftigung. Arbeit müsse künftig an allen möglichen Orten, rund um die Uhr für die Unternehmen verfügbar sein, fordert der Unternehmerverband. Denn »Digitalisierung und zunehmende internationale Arbeitsteilung bedeuten eine zunehmende weltweite Vernetzung der Arbeitswelt über Zeitzonen hinweg« sowie »kurzfristigere Schwankungen der Auftragslage«, an die sich die Arbeitnehmer anpassen müssten. Neue »Arbeitsformen entstehen, die nicht durch Regulierung eingeschränkt werden sollten«. Alte Regulierung will der BDA ebenfalls abgeschafft sehen. Zum Beispiel den Acht-Stunden-Tag oder die Regelungen zur Beschränkung von Sonn- und Feiertagsarbeit.
Jedoch: Der Treiber der Entwicklung ist nicht die »technologische Entwicklung« - ein 3-D-Drucker als solcher zwingt die Menschen zu gar nichts. Treiber sind die Unternehmen und ihr Interesse, dem die Digitalisierung dienen soll: mehr Rendite.
Wird die Arbeit zunehmend vernetzt, steigt der Stress immer mehr an, dann werden Forderungen der Gewerkschaften - die seit langem aufgestellt werden - zur Kontrolle der Arbeitsverausgabung immer wichtiger. Die betriebliche Mitbestimmung muss gestärkt werden, um bei den Personal- und Stellenplänen erzwingbare Vereinbarungen durchsetzen zu können. Da auch der Betriebsrat nicht alles weiß, muss die Position der Beschäftigten gestärkt werden. Sie müssen das Recht bekommen in Arbeitsgruppen während der Arbeitszeit über ihre Arbeitssituation und -belastung diskutieren und erzwingbare Forderungen zur Stellenbesetzung aufstellen zu können. Hätten wir heute bereits solche Rechte der Betriebsräte und der Beschäftigten gäbe es zum Beispiel in den Krankenhäusern rund 160.000 zusätzliches Pflegepersonal.
Zudem wird es gerade in Zeiten der weiteren technologischen Veränderungen wichtig das Normalarbeitsverhältnis zu stärken und gesetzlich Leiharbeit, Befristungen und Werkverträge abzuschaffen bzw. stark zurückzudrängen. Die Digitalisierung erzwingt nicht derartige prekäre Arbeitsverhältnisse.
Mit ihrer Zurückdrängung wird auch die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften wieder verbessert. Eine höhere Tarifbindung wird dann möglich und vor allem wieder deutlich höhere Lohnabschlüsse, damit die Lohnverluste der letzten 15 Jahre wieder aufgeholt werden können.
Außerdem: Warum nicht die höhere Produktivität für eine Verkürzung der Arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich nutzen? Warum nicht das alte Ziel der 30-Stunden-Woche wieder angehen?
Michael Schlecht ist wirtschaftspolitischer Sprecher Linksfraktion im Bundestag.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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