nd-aktuell.de / 01.02.2016 / Kultur / Seite 14

Blaue Tage

Wolfgang Hübner

Ich will ja gar nichts Besonderes. Nur einen neuen Personalausweis. Und eigentlich will ich ihn auch gar nicht, denn mal ehrlich - wann braucht man ihn schon? Bei welcher Gelegenheit ich ihn zum letzten Mal herausholen musste, ich weiß es nicht mehr. Womöglich war es noch unter Kohl.

Aber die Bürokratie nötigt unsereinen. Der alte Ausweis läuft in zehn Wochen ab, das habe ich neulich mit gewissem Erschrecken bemerkt. In anderen Städten wäre das kein Grund zur Panik; man würde zur zuständigen Behörde gehen, einen Antrag ausfüllen und fertig.

Ich habe aber ein Problem. Das Problem heißt Berlin. In Berlin muss man, um solche Dinge zu regeln, zum Bürgeramt. Das klingt harmlos, aber nur für Nichtberliner. Zehn Wochen, wird der Nichtberliner sagen, das ist ja eine halbe Ewigkeit, wenn man bedenkt, dass Gott die ganze Welt in lächerlichen sechs Tagen geschaffen hat. Für das Licht, keine ganz einfache Sache, wie uns später Albert Einstein erklärt hat, für das Licht brauchte Gott nur einen Tag. Ebenso für Himmel, Erde, Sterne sowie Tier und Mensch. Die Basics eben. Vor so komplexen Angelegenheiten wie Personalausweis oder Bürgeramt hat Gott sich aber gedrückt. Dafür fehlte ihm der Mumm. Oder die Kompetenz.

Also musste sich der Mensch drum kümmern. Und deshalb ist es so, wie es ist. Nämlich: Das Bürgeramt ist faktisch uneinnehmbar. Man kann es fast nur noch über dieses Internet kontaktieren (persönlich hingehen könnte man auch, einfach so, aber das Amt warnt gleich: ohne Termin ziemlich sinnlos). Termine gibt es eigentlich nicht. Also schon, aber nur bereits vergebene. Offene Termine sind seltener als unterm letzten Regime ein Sack Zement. Der Bürger ist angehalten, im Internet ständig nach neuen Terminen Ausschau zu halten, aber er stellt lediglich fest, dass auf Wochen hinaus alles besetzt ist. Besetzt ist im Onlinekalender der Bürgerämter rot, noch nicht buchbar ist weiß. Verfügbare Tage sind blau. Theoretisch. Praktisch gibt es keine blauen Tage.

Deshalb muss der Bürger Tag und Nacht auf der Lauer liegen, damit er genau den Moment erwischt, in dem sich das Buchungszeitfenster der Bürgerämter öffnet. Allerdings öffnet es sich nur so schmal und so kurz, dass man kaum so schnell klicken kann, wie es wieder zuschnappt. Pech gehabt. Der Innensenator hat von diesem Missstand gehört und eine Maßnahme ergriffen. Er will eine Art Superbürgeramt gründen, das ihm persönlich untersteht. Ob das Superbürgeramt ein Superzeitfenster hat, ist leider unbekannt.

In Notfällen dürfe man im Bürgeramt um Verständnis betteln, ist im Internet zu lesen. Das ist schön, aber in der Liste der zugelassenen Notfälle kommt ein ablaufender Ausweis blöderweise nicht vor. Ich werde ausharren und observieren. Bis es irgendwann klappt. Der neue Ausweis gilt zehn Jahre, dann geht alles von vorne los. Ich werde das Bürgeramt, sollte ich erst einmal drin sein, nur verlassen, wenn ich gleich einen Termin für Frühjahr 2026 habe.