nd-aktuell.de / 02.02.2016 / Kultur / Seite 16

Fels und Feinsinn

Zum Tod Frank Hörnigks

Hans-Dieter Schütt

Es gibt intelligenteste Formen der Rache. Da kommt einer, Ende der siebziger Jahre, ins Mahlwerk eines Parteiverfahrens an der Berliner-Humboldt-Universität und in den Ruch des »Konterrevolutionären«, weil er Heiner Müller preist - und Jahrzehnte später ist er forschender, findender, fundierter, kurz: brillanter Herausgeber der Heiner-Müller-Gesamtausgabe im Suhrkamp Verlag: Frank Hörnigk. Germanist und vehementer Streiter für ein Theater, »das den Texten nicht ausweicht«. Er hat die Tagebücher des Kritikers Ernst Schumacher betreut, er hat dem wunderbaren Werk des Maskenkünstlers Wolfgang Utzt vom Deutschen Theater Berlin zur »buchenswerten« Öffentlichkeit verholfen. Und er schrieb ein Buch über Erwin Geschonneck. »Eine deutsche Biografie«. Prolet Geschonneck kannte den Schmerz, den das 20. Jahrhundert gegen die Unteren hervorbrachte, und diese Kenntnis schlug sich im Schauspieler als das begnadete Talent nieder, mittels Spiel eine Hoffnung zu schüren: Die weiteren Pläne zur Steigerung des sozialen, gesellschaftlichen Unglücks auf der Welt könnten erfolgreich behindert werden. Ein Spiel mit Haut und Jahren. Für einen Scheiter-Haufen Erfahrung.

Dieses Thema hat den Literaturwissenschaftler Hörnigk immer bewegt, hat ihn getrieben, ist ihm eigener Stoff geworden. Anders kommt einer nicht wirklich zu Heiner Müller oder Volker Braun. Zu einer Kunst, die »allein nach ihren eigenen ästhetischen Maßgaben und Verhältnissen handeln muss - und deshalb notwendig nur als Provokation der wirklichen Verhältnisse diese überdauern kann - um erkennbar (wiedererkennbar) zu bleiben«. So schrieb er, in einem Text gemeinsam mit seiner Frau Therese Hörnigk, ebenfalls Germanistin, viele Jahre Leiterin des Literaturforums im Brecht-Haus. Eine Ästhetik des Widerstandes »gegen die alten Gewissheiten, die eigenen wie die fremden«. Also gegen »festschreibende Aufklärungsmodelle«. So ist er wohl auch an seine jüngste Biografie herangegangen, »Zeit der Hoffnung, Zeit der Erinnerung. Das geteilte Leben des Dokumentarfilmers Gerhard Scheumann«. Dieses Buch über den Mann, der mit Walter Heynowski das weltberühmte Kürzel H &S bildete, und das demnächst im Verlag BasisDruck erscheint, ist nun zum Vermächtnis geworden. Das geteilte Leben. Wieder also: die Gegensätze zwischen Chance und bitteren Erkenntnissen. Aber auch neuer Zuversicht. Die lag für den Sozialisten Hörnigk darin, dass der Kapitalismus an seiner »aufs Käufliche reduzierten Utopie ersticken« werde.

Jahrzehnte war Hörnigk Lehrer an der Humboldt-Universität, war Forschungsdirektor, Dekan, musste sich, als alles Westen geworden war, auf seine eigene Stelle neu bewerben, wurde für fünf Jahre eingestellt, »allerdings mit der unverschämten Begründung, man sei sich nicht sicher, ob ich tatsächlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehe«. Erst neun Jahre nach dem Mauerfall wird Hörnigk »entfristet«. Das Vokabular der Anmaßung.

Dieser Wissenschaftler, dieser Deutungsenthusiast, gelernter Stahlwerker, wirkte kraftvoll, ein Typ zwischen Seewolf und Bergsteiger, weißer Bart, weißes Haar, verwegen und vergeistigt zugleich. Fels mit Feinsinn. Nun ist Frank Hörnig (Jg. 1944) unerwartet gestorben.