nd-aktuell.de / 02.02.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

AKW Leningrad ist eine Gefahr

Russische Umweltaktivisten warnen vor wachsender Anzahl von Störfällen

Bernhard Clasen
Seinen Strom produziert das AKW Leningrad hauptsächlich für St. Petersburg. Doch das Kernkraftwerk ist gleichzeitig auch eine Gefahr für die russische Metropole.

Drei renommierte russische Umweltorganisationen warnen vor den wachsenden Gefahren des Atomkraftwerkes »Leningrad«. Das 70 Kilometer von der russischen Hafenstadt St. Petersburg und 100 Kilometer von der finnischen Stadt Narva entfernte Kraftwerk in Sosnovij Bor produziert seinen Strom mit vier graphitmoderierten Kraftwerksblöcken vom Typ RBMK. Weltweit bekannt wurden die RBMK-Reaktoren durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Das Kraftwerk »Leningrad« liefert seinen Strom in erster Linie an den Großraum St. Petersburg. Daneben erhält Finnland 25 Prozent des produzierten Stromes. Kaum bekannt ist, dass in der Atomstadt Sosnowij Bor noch fünf weitere kleine Reaktoren in Betrieb sind. Diese produzieren Brennstoff für atomar betriebene U-Boote.

Noch nie habe es statistisch gesehen so viele Störfälle im AKW Leningrad gegeben wie in den letzten Monaten, erklärten Greenpeace, die Grüne Welt und die Sozial-Ökologische Union kürzlich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in St. Petersburg. Habe es früher einen Störfall pro Jahr gegeben, so seien alleine in den letzten vier Monaten drei Störfälle zu verzeichnen gewesen. Erst am 25. Januar hatte der Pressedienst des AKW Leningrad berichtet, dass man kurzfristig den vierten Reaktorblock auf eine Kapazität von 60 Prozent habe herunterfahren müssen. Der Grund sei ein unerwarteter Druckabfall einer Schmieröl führenden Leitung gewesen. Bei einem weiteren Störfall am 18. Dezember war radioaktiver Dampf aus dem Zweiten Kraftwerksblock in die Umwelt entwichen. Und dabei, so Oleg Bodrow von der Grünen Welt, habe man noch Glück gehabt. Der Wind habe diesem Tag nicht Richtung St. Petersburg geweht, sondern den radioaktiven Dampf ins Meer getrieben.

Die Umweltschützer befürchten, dass sich an dieser Häufigkeit nichts ändere, die Gefahren des Atomkraftwerkes für die Bevölkerung von St. Petersburg und des benachbarten Finnland zunehmen werden. Es sei fatal gewesen, dass man die Laufzeit der RBMK-Reaktoren im AKW Leningrad von 30 auf 45 Jahre verlängert habe. »Störfälle ereignen sich vor allem nach der Inbetriebnahme eines Reaktors und in der Zeit vor ihrem Abschalten. In den letzten Betriebsjahren kommen die Abnutzungserscheinungen von Reaktor, Stromversorgung und Kühlsystemen zum Tragen«, begründet Bodrow seine Kritik an den Laufzeitverlängerungen. Es sei tragisch, dass gerade in einer Zeit, in der die alten RBMK-Reaktoren auslaufen und neue WWER-1000-Reaktoren ans Netz gehen, jüngere Mitarbeiter an die Stelle der erfahrenen älteren und nun pensionierten Ingenieure treten. »Die jungen Leute haben noch kein Gefühl für die Anlage«, so Bodrow.

2025 soll der letzte RBMK-Reaktor im AKW Leningrad vom Netz gehen. Doch bis dahin werden neue Reaktoren vom Typ WWER-1200 ans Netz gehen. Zu diesem neuen Kraftwerkstyp, so Bodrow, dessen erster Reaktor im »AKW Leningrad« am 1. Januar 2018 ans Netz gehen soll, habe man noch keine Erfahrungswerte.

Zwar haben die russischen Behörden rechtzeitig öffentliche Anhörungen zu Laufzeitverlängerungen der alten RBMK-Reaktoren und dem Bau der neuen Reaktoren durchgeführt. »Doch bei den Anhörungen bekommen wir nur zu hören, dass die Sicherheit garantiert sei. Das hat man uns doch schon vor Tschernobyl gesagt«, meint Raschid Alimow von Greenpeace Russland. Schon beim Bau der neuen Reaktoren ist es laut Alimow zu einigen Unfällen gekommen. Störfälle im laufenden Betrieb der neuen Kraftwerke wären um ein Vielfaches dramatischer.

Am allerdringendsten, erklärt Bodrow, sei es, die Kühltürme des AKW von einem feuchten zu einem trockenen Betrieb umzurüsten. »Nur 200 Meter von den Kühltürmen verläuft eine Hochspannungsleitung mit 750 Volt. Bei eisigen Wintertemperaturen könnte der Dampf aus einem Kühlturm das Kabel vereisen und sogar beschädigen«, so Bodrow.