nd-aktuell.de / 11.11.2006 / Kultur

Die jungen Mütter der Südsee

Schwangere 15-Jährige sind auf den südpazifischen Inseln keine Seltenheit

Wolfgang B. Kleiner
Zwischen einer wilde Müllkippe und dem größten Friedhof Tahitis machen sich oberhalb des Ortes Faa`a Wellblechbehausungen breit. Hier leben Menschen, die Verwertbares aus dem Abfall klauben. Amanda Ching, ein auffallend dürres Mädchen mit einem Kleinkind im Arm, sitzt am Wegrand.
Amanda war erst 15, als sie mit der jetzt einjährigen Hayllie schwanger wurde. »Ich bin froh, jetzt schon das Kind zu haben«, erzählt sie und gibt der Kleinen die Brust. Der vielleicht 18-jährige Vater kommt dazu, bietet der Runde einen Joint an, den die junge Mutter mit Blick auf ihr Kind ablehnt. Zu früheren Zeiten waren Schwangerschaften in sehr jungen Jahren für die Menschheit überlebenswichtig. Schließlich betrug die Lebenserwartung oft nur 30 Jahre, dazu kam eine hohe Kindersterblichkeit. Der amerikanisch-stämmige Publizist Alex du Prel, der das polynesische Tahiti zu seiner Wahlheimat gemacht hat, stellt heute fest: »Jungfräulichkeit bei der Heirat ist ein europäisches Märchen.« Gerade auf den abgelegenen Inseln Polynesiens sei die Tradition des »Taurea rea«, des ungezwungenen Ausprobierens unter gerade Geschlechtsreifen, immer noch lebendig. »Die jungen Leute wachsen hier nicht in sexueller Frustration auf wie im Westen. Die Einstellung ist viel gesünder«, glaubt du Prel. Frühe sexuelle Erfahrung müsste freilich nicht zwangsläufig zu häufigen Teenager-Schwangerschaften führen. Aber Gespräche zwischen Eltern und Kindern über Sexualität sind tabu. Dazu kommt, dass fast 50 Prozent der Inselbevölkerung katholisch sind und das Verhütungsverbot des Papstes sehr ernst nehmen. Hubert Coppenrath, der katholische Erzbischof von Tahiti, übergeht das Papstwort jedoch, wenn er über die jungen Mütter spricht: »Das ist ein altes Problem hier. Die Kirche ist nicht sonderlich froh darüber.« Sie versuche, frühe Schwangerschaften durch Erziehung zu verhindern. Der Kirchenmann merkt aber an, dass Kinder auf Tahiti anders als in manchen westlichen Ländern willkommen sind. Die Sozialarbeiterin Elisabeth Lai berichtet über die Familienstrukturen auf den Inseln Französisch-Polynesiens: »Die Familien sind sehr groß, mehrere Generationen wohnen unter einem Dach. Eine junge Mutter steht selten allein da, sie wird vom Familienverband aufgefangen.« Auf der Hauptinsel Tahiti mache sich jedoch westlicher Lebensstil breit. Eine Folge ist die langsame Auflösung der Großfamilien. Mareva Tourneux, Abteilungsleiterin im Gesundheitsministerium auf Tahiti, wartet mit Zahlen auf: 12 Prozent der jährlich im Inselreich geborenen 4700 Kinder stammen von Müttern zwischen 15 und 19 Jahren. Etwa zehn Mütter seien bei der Geburt ihres Kindes jünger als 15 Jahre, die Dunkelziffer dürfte jedoch weit höher liegen. Zum Vergleich: In Deutschland werden nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums in den letzten zehn Jahren fast gleich bleibend etwa 4800 Kinder von minderjährigen Müttern zur Welt gebracht, das sind etwa 0,7 Prozent aller Geburten. Allerdings hat sich die Zahl der Abtreibungen in derselben Altersgruppe von etwa 4700 auf 7900 fast verdoppelt. Also nehmen auch in Deutschland Teenager-Schwangerschaften zu. Hellhörig wird die Sozialarbeiterin Elisabeth Lai, wenn eine Schwangere selbst für Südseeverhältnisse ungewöhnlich jung ist, also deutlich unter 15 Jahren. »Wir versuchen dann unauffällig herauszufinden, wer das Mädchen geschwängert hat.« Gerade auf den einsameren Inseln gebe es ein Inzestproblem, weil oft 10 bis 15 Personen in einem einzigen Raum zusammenleben. Auch seien Alkohol und Drogen im Spiel. »In so einem Fall suchen wir nach Adoptiv-eltern. Das Neugeborene würde nämlich von der eigenen Großfamilie nicht akzeptiert werden.« Elisabeth Lai weiß aber auch, dass viele Mädchen aus Statusgründen bewusst eine frühe Schwangerschaft wollen: »Mit eigenem Nachwuchs werden die jungen Mütter in ihren Familien als Erwachsene behandelt, nicht mehr als Kinder.« Drei Kinder zu bekommen, gilt als ganz normal, auch acht Kinder sind nicht ungewöhnlich. So sind 42 Prozent der Inselbewohner unter 20 Jahre alt. An der hohen Geburtenrate ist auch die männliche Logik schuld: Die Männer wollen nicht, dass ihre Frauen fremdgehen, und verbieten ihnen deshalb jegliche Verhütung in der Hoffnung, dass sich ihre Frauen aus Angst vor fremd verursachten Schwangerschaften zurückhalten. Dr. Wolfgang Losacker, Arzt auf den benachbarten Cook-Inseln, erzählt: »Die Menschen sind sehr kinderlieb, Kinder haben es hier viel besser als im Westen.« Ein Kind werde nicht etwa als Katastrophe betrachtet wie bisweilen im Abendland, es verursache schließlich auch viel weniger Kosten. »Das Essen wächst den Menschen in diesem tropischen Klima doch fast von selbst in den Mund«, schmunzelt der Mediziner. Entsprechend niedrig seien die Abtreibungsraten. Historische Entwicklungen und kulturelle Traditionen beeinflussen das Sexualverhalten im westlichen Abendland und in der Südsee in unterschiedlicher Weise. Mehr als bedenklich wird es aber, wenn westliche Südsee-Reisende die Gepflogenheiten der Region ausnutzen. Was übrigens kein neues Phänomen ist: Der wohl bekannteste pädophile Sextourist dürfte Paul Gauguin gewesen sein. Der Franzose malte nicht nur auffällig gern nackte junge Mädchen. Er missbrauchte sie auch. Bei der erst 14-jährigen Pau`ura führte dies 1896 zur Schwangerschaft.