Der Doktor ruft gleich zurück

Studie zeigt: Chronisch Kranke sind mit ihrem Hausarzt meist zufriedener als mit Fachärzten

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Patienten aus elf Ländern wurden zur Qualität der Gesundheitsversorgung befragt. In Deutschland ergab sich dabei ein zwiespältiges Ergebnis.

Jeder dritte Bundesbürger leidet an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Asthma, Hypertonie, Arteriosklerose, Rheuma, Demenz oder Krebs. Und die Zahl der Betroffenen wächst ständig. Die Behandlung chronischer Erkrankungen zählt damit zu den großen Herausforderungen eines modernen Gesundheitssystems. Zumal gerade chronisch kranke Patienten und Patientinnen besondere Ansprüche an ihre medizinische Versorgung und Betreuung stellen.

Wie aber werden diese erfüllt? In elf Ländern fand hierzu eine Befragung statt, an der sich die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Australien, Kanada, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Schweiz, Großbritannien und die USA beteiligten. Für die deutschlandweite Befragung von Patienten mit erhöhtem Versorgungsbedarf generierte das GESIS-Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften knapp 60 000 Telefonnummern. 2048 Frauen und Männer wurden kontaktiert, davon erfüllten 1200 die geforderten Kriterien. Das heißt, an der Studie nahmen Personen teil, die zum Befragungszeitpunkt an einer schweren chronischen Erkrankung litten, in den zurückliegenden zwei Jahren operiert worden waren oder sich im selben Zeitraum in stationäre Behandlung begeben hatten. Die Auswertung der telefonisch erhobenen Daten oblag einem Team von Ärzten um die Gesundheitsökonomin Stephanie Stock vom Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) an der Uniklinik Köln.

Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift »Das Gesundheitswesen« (Bd. 77, S. 761) veröffentlicht. Danach schätzt etwa ein Drittel der Befragten die medizinische Versorgung in Deutschland insgesamt als gut ein, während 22 Prozent sie für komplett reformbedürftig halten. Rund 45 Prozent sind geteilter Meinung. Zwar attestieren auch sie dem hiesigen Gesundheitssystem »viele gut funktionierende Anteile«, andererseits sehen sie an manchen Stellen Bedarf für nachhaltige Veränderungen. Ein leidiges Problem für viele Patienten sind die Wartezeiten im Medizinbetrieb, die sich in den letzten Jahren allerdings verkürzt haben. So gaben immerhin 51 Prozent der Befragten an, dass sie auf Nachfrage noch am selben Tag einen Termin bei ihrem Arzt erhalten hätten. Nur 23 Prozent mussten eine Woche und länger warten. Auch im internationalen Vergleich sind diese Zahlen respektabel. Zwar liegt Deutschland in der Rubrik »Termin am selben Tag erhalten« hinter Frankreich und Neuseeland, aber vor allen anderen beteiligten Ländern.

Eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung spielt traditionell der Hausarzt. 95 Prozent der Deutschen haben einen solchen und nutzen dessen Dienste zumeist über viele Jahre. Auf die Frage: Ruft Ihr Hausarzt Sie noch am selben Tag zurück, wenn Sie ihn zuvor telefonisch um eine medizinische Auskunft gebeten hatten, antworteten 88 Prozent der befragten Patienten mit »immer« oder »oft«. Damit befindet sich Deutschland international an der Spitze.

»Das Vertrauen zu den Hausärzten ist hoch. Die Patienten beschreiben die hausärztliche Versorgung überwiegend positiv«, sagt Marie-Luise Dierks vom Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der Medizinischen Hochschule Hannover. Tatsächlich gaben über 70 Prozent der Befragten an, dass ihr Hausarzt sich genügend Zeit für eine Konsultation nehme und ihnen in verständlicher Form den medizinischen Sachverhalt schildere. »Bei den Hausärzten ist die Beteiligung der Patienten schon angekommen, bei den Fachärzten womöglich noch nicht hinreichend«, erklärte Dierks gegenüber dem Ärzteportal »Medscape Deutschland«.

So beklagten rund 30 Prozent der befragten Patienten, dass sie beim Facharzt zu wenig Gelegenheit erhielten, Fragen über ihre Erkrankung zu stellen. In dieser Rubrik liegt Deutschland im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld, aber noch vor Frankreich, Norwegen und Schweden. Namentlich bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen ist es für viele Patienten wichtig, vom Facharzt in angemessener Weise in die Entscheidungsfindung über die richtige Behandlungsmethode eingebunden zu werden. 49 Prozent der Befragten bekundeten hier ihre Zufriedenheit: Sie seien über mögliche Therapiealternativen informiert worden. Dennoch belegt Deutschland damit nur den vorletzten Platz in der Zufriedenheits-Statistik. An der Spitze stehen mit Werten von 77 bzw. 71 Prozent die Schweiz und Großbritannien.

Dass der Hausarzt bei den Patienten besser wegkomme als der Facharzt, ist für Jean-François Chenot vom Institut für Community Medicine der Universität Greifswald nicht verwunderlich. Denn die meisten Patienten suchten sich ihren Hausarzt selbst aus und seien bestrebt, langfristig eine gute Beziehung zu ihm aufzubauen. Beim Facharzt spiele dieser menschliche Aspekt keine so große Rolle.

Stephanie Stock sieht hier Veränderungsbedarf: »Bei den Fachärzten braucht es einen Kulturwandel, Patienten in Entscheidungen einzubinden. Viele Fachärzte denken, dass sie Patienten überfordern, wenn sie ihnen Behandlungsalternativen aufzeigen.« Das mag im Allgemeinen so sein. Allerdings sind nicht alle Patienten daran interessiert, am Prozess der Therapiefindung mitzuwirken. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ein Arzt, der vor einer Behandlung auch mögliche Alternativen vorschlägt, von manchen Patienten als nicht sonderlich kompetent eingestuft wird. Denn das paternalistische Therapiemodell, das allein auf der Autorität und Entscheidungssouveränität des Arztes fußt, ist in vielen Köpfen noch immer präsent. Chenot favorisiert im Gegensatz dazu das sogenannte Shared Decision Making (SDM), was im Deutschen als »partizipative Entscheidungsfindung« bezeichnet wird. Konkret geht es hierbei um das Bemühen von Arzt und Patient, zu einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft über eine angemessene medizinische Behandlung zu gelangen. Laut dem »Gesundheitsmonitor« der Bertelsmann-Stiftung befürworten 67 Prozent der Ärzte in Deutschland ein solches Modell. 21 Prozent setzen weiterhin auf den paternalistischen Ansatz, acht Prozent wollen dem Patienten die Entscheidung überlassen.

Eines der auffälligsten Resultate der Studie ist nach Meinung der Autoren die hohe Zahl von Patienten, die wegen finanzieller Hürden eine mögliche medizinische Leistung nicht in Anspruch nehmen. So erklärten 22 Prozent der Befragten, dass sie in den zurückliegenden zwei Jahren, in denen noch die praxisgebühr galt, aus Kostengründen entweder auf einen notwendigen Arztbesuch, eine empfohlene Untersuchung oder die Einlösung eines Rezepts verzichtet hätten. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf einem der letzten Plätze. Mit Abstand am schlechtesten schneiden bei diesem Ranking die USA ab. Hier gaben 42 Prozent der Befragten an, dass ihnen zuweilen das Geld fehle, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Bei Patienten aus einkommensschwachen Schichten beträgt der Anteil sogar 57 Prozent.

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