Bitte beruhigen Sie sich!

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 2 Min.

Vor Jahren absolvierte ich die Ausbildung zum Sicherheitsmännlein, indem ich ein Vierteljahr die Schulbank drückte. Es wurden Themen durchgekaut, die im Arbeitsalltag kaum in dem Maße zu gebrauchen wären: Menschenkenntnis, Kommunikationstraining und ähnlicher Schmus. Psychologie for beginners.

Doch wer eine halbwegs brauchbare Erziehung nicht schon während seiner ersten Jahrzehnte mitbekommen hatte, war in diesem Vierteljahr nicht auf Linie zu bringen. Den Unterrichtsstoff bekamen wir gleitend vermittelt, er wiederholte sich alle acht Wochen, gefühlt alle zwei, damit für die Neuen der Einstieg jederzeit möglich war. Wenn ein Teilnehmer reif für die Prüfungen schien, wurde der Stoff zusätzlich wiedergekäut. Doch grau sei alle Theorie, meinte ich gegenüber dem Dozenten, und fragte, wann wir ein paar alltagsgebräuchliche Handgriffe vermittelt bekämen? Nie, sagte er, so was sähe der Lehrplan nicht vor.

Das Alphamännchen unserer Pausen war der Teilnehmer Micha, ein stämmiger Thüringer mit zerfurchter Visage, der blöderweise den Schein nachmachen musste, die Sachkundeprüfung nach § 34 a. Michas überhastetes Genuschel handelte oft vom Arbeitsalltag, sein fahrig-flüchtiger Blick resultierte aus seinen Fußball- und Drogeneskapaden. In seiner Firma, meinte er, gäbe es kurze Ansagen, und wenn die beim Adressaten nicht ankämen, ginge es ab. Dieses Gequatsche hier, von Deeskalation und Schwanzeinziehen, da würde man draußen von jedem Rütli zur Fotze gemacht. Auch wenn Micha nicht als großer Kommunikator rüber kam, so waren seine volksnahen Worte eine Erholung vom blümeranten Gequatsche der Dozenten.

Ich reimte mir zusammen, mir schnell darüber im Klaren sein zu müssen, ob ich bei einer Firma fürs Grobe arbeiten wolle oder in einer kleinen Klitsche als Pförtner die Stunden runter zu reißen gedachte. Fast alle Teilnehmer träumten von einem Pförtnerposten, nur zwei, drei Gebrechliche wollten lieber in einem Museum vor den Gemälden und Skulpturen umherschlurfen, um das Treppensteigen weitestgehend zu vermeiden. Solch interessante Stellen an Schulen und Heimen durften die Strategen besetzen, die uns den Mindestlohn eingebrockt hatten, waren wir uns einig.

Fahrplanmäßig legte ich vor der IHK die schriftliche und mündliche Prüfung ab. Als es um das zweiwöchige Praktikum ging, erläuterte ich dem Chef, was ich nicht machen wolle, bekam den Job und verbrachte die ersten Monate in einer Universität und die letzten in einem Theatertempel. Irgendwann fühlte ich mich in der Grußaugustkaste als Schreiberling nicht mehr gut aufgehoben und bin nun in einem anderen Geschäft wesentlich sportlicher unterwegs.

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