Scherzopfer

PERSONALIE

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

Seit mehr als 20 Jahren ist Jürgen Domian mit seinem Radio-Talk sechs Nächte in der Woche auf Sendung. Rund 20 000 Gespräche hat der studierte Germanist bislang in seiner Sendung live mit Menschen geführt, die ihre Seelennöte offenbar niemand anderem mehr als einer ihnen unbekannten Person im Radio mitteilen können.

Montagnacht rief eine aufgelöste Frau an und behauptete, sie werde von ihrem Freund misshandelt. Dann waren Geräusche zu hören, die wie Schläge klangen. Plötzlich war die Leitung tot. Domian und seine Redaktion schalteten die Polizei ein. Die traf am vermeintlichen Tatort lediglich auf eine junge Frau und mehrere Männer, die erklärten, der Anruf sei ein Scherz gewesen, entstanden aus einer Alkohollaune heraus.

Der Vorfall wäre allenfalls eine ironische Randbemerkung in den Gazetten wert. Doch die Anruferin wusste - instinktiv oder absichtlich, das sei dahingestellt -, wie sie ihrem Scherzanruf eine politische Bedeutung geben konnte. Sie berichtete, dass sie von ihrem »muslimischen Freund« misshandelt werde, der zu der Schwangeren gesagt haben soll: »Du bist ein Christ, wir sind Moslems. Du beschmutzt unsere Familie.«

Dass am Wahrheitsgehalt des Geschilderten bzw. an der Aufrichtigkeit der Anrufer dann und wann Zweifel angebracht schienen, hat der 58-jährige Domian schon mehrfach erfahren müssen. Einmal berichtete ihm eine junge Frau frank und frei, wie sie seit Jahren das Jobcenter austrickst, woraufhin er noch während der Sendung ankündigte, er werde sie bei den Behörden anzeigen; ein andermal entpuppte sich das Gespräch mit einem vermeintlichen Neonazi-Aussteiger als verkappte Propaganda für rechtsextremes Gedankengut.

Die beiden Anrufe zählen zu den meistangesehenen Clips auf Youtube. Das Gespräch von vergangener Montagnacht wird mit Sicherheit bald auch dazu zählen. Und es ziemlich wahrscheinlich ist auch, dass viele Nutzer von Youtube am Wahrheitsgehalt der Schilderungen der Frau keinen Zweifel haben werden.

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