Die Fanszene des Fußball-Drittligisten Preußen Münster ist keine zahme : Teile der schwarz-weiß-grünen Anhängerschaft fielen in den letzten Jahren immer mal wieder durch den Einsatz von Pyrotechnik oder auch Sachbeschädigungen auf. Das Verhältnis zur Polizei, die dagegen sehr repressiv vorgingen, war also schon gestört – spätestens seit Anfang diesen Jahres darf es als nicht mehr vorhanden betrachtet werden. Der Sicherheitsbeauftragte des Vereins, Roland Böckmann, hat nach 13 Jahren seinen Posten aufgeben, das Fanprojekt des Vereins hat den Dialog mit der Polizei ausgesetzt. Eine neue Eskalationsstufe, die sich Polizei und Staatsanwaltschaft zuzuschreiben haben.
Alles beginnt am 16. Oktober 2015. Während des Spiels im Preußenstadion zwischen Münster und Rostock zünden beide Fanszenen Pyrotechnik, die Partie steht kurz vor dem Abbruch. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, vorhandenes Videomaterial wird ausgewertet – von der Polizei und Böckmann gemeinsam. Am 15. Januar 2016 werden plötzlich das Büro und auch Privaträume des Sicherheitsbeauftragten durchsucht, Computer und Telefone beschlagnahmt. Er wird der »versuchten oder vollendeten Strafvereitelung« beschuldigt: Er hätte laut einem Polizeiprotokoll »keine relevanten Hinweise gegeben«, berichtet die »Münstersche Zeitung«. Das hat die Staatsanwaltschaft wohl falsch interpretiert – Böckmann hatte sehr wohl Personen identifiziert, nur waren diese der Polizei bereits bekannt, bestätigt ein Sprecher des Landgerichts Münster. Böckmann hatte dort Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegt, der das Landgericht am 28. Januar stattgab: von Strafvereitelung könne keine Rede sein, da Böckmann ja Personen identifiziert hat. »Dass der Beschuldigte wahrheitswidrig gehandelt hat, trifft nicht zu«, zitiert die »Münstersche Zeitung« einen Sprecher des Landgerichts.
Die Rücknahme eines Durchsuchungsbeschlusses, gegen die es keine Rechtsmittel mehr gibt, ist selten. Und eine Ohrfeige für die Polizei und Staatsanwaltschaft – eigentlich. Denn der Anwalt des Sicherheitsbeauftragten, Detlev Ströcker, vermutet etwas anderes hinter den Ermittlungen: einen kalkulierten Tabubruch. Er sieht seinen Mandanten als »Bauernopfer«. Gegenüber dem »Deutschlandfunk« erklärt er: »Kurz bevor diese Maßnahme gegen ihn durchgeführt wurde, gab es Differenzen zwischen der Vereinsführung und der Polizei über die Frage, wer Stadionverbote bekommen sollte und wer nicht. Im direkten Anschluss daran wurde dieser Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss von der Staatsanwaltschaft beantragt.« Der zweite Verdacht ist noch ungeheuerlicher: Laut Ströcker »kann man sich eigentlich dem Eindruck nicht mehr verschließen, dass es hier darum ging, an Daten zu kommen, die auf den Rechnern des Sicherheitsbeauftragten gespeichert waren, an die man auf anderen Wege nicht kommen konnte«, so der Anwalt gegenüber dem »DLF«.
Denn die sichergestellten Daten von Fotos bis hin zu Telefonnummern oder sogar Chatprotokollen in den Händen der Ermittlungsbehörden dürfen zwar nicht mehr gegen Böckmann verwendet werden – dafür aber gegen jene Mitglieder der Münsteraner Fanszene, gegen die jetzt noch Ermittlungen laufen. Ob die Erkenntnisse später gerichtsfest sind oder nicht – für die Polizei sind sie ein Datenschatz, an den sie kaum auf anderem Wege gekommen wären.
Für Böckmann ist die Konsequenz klar – unter diesen Umständen kann er seine Funktion nicht mehr ausüben. Obwohl er sich als rechtlich vollständig rehabilitiert betrachten kann, sieht er keine Möglichkeit weiter als Bindeglied zwischen Fanszene, Verein und Polizei zu wirken: »Jede Vertraulichkeit zu den Sicherheitsbehörden ist dahin nach 13 Jahren Tätigkeit in dieser Position«, wird sein Anwalt von der »Münsterschen Zeitung« zitiert. Seine Kontakte zu den Fans liegen nun der Polizei vor.
Falls in Münster noch irgendjemand auf einen Dialog zwischen Polizei und Fans gesetzt hatte – diese Bemühungen sind jetzt hinfällig. Seit 2011 saßen Fans in Arbeitskreisen »Stadionsicherheit« und »Fandialog« zusammen mit der Polizei im Örtlichen Ausschuss Sport und Sicherheit (ÖASS). Das Fanprojekt Münster sieht nach den Januarereignissen »keine Basis« mehr für eine Zusammenarbeit. »Die radikale Vorgehensweise von Polizei und Staatsanwaltschaft in den vergangenen Wochen auch gegen Angestellte von Preußen Münster hat uns klar gemacht, dass von dieser Seite kein Dialog auf Augenhöhe gewünscht ist«, erklärt Fanprojekt-Vorsitzender Benny Sicking. Die Strafverfolgungsbehörden in Münster müssten »dringend ihre Handlungen überdenken.« Als »nicht nachvollziehbar« bezeichnet auch Michael Gabriel von der bundesweiten Koordinierungsstelle der Fanprojekte (KOS) gegenüber »DLF« das Vorgehen der Polizei.
Überdenken werden ihre Position im Spannungsfeld zwischen Polizei und Fanszene auch die anderen Sicherheitsbeauftragten im deutschen Fußball – mit wem sollen sie überhaupt noch kommunizieren, wenn das Beispiel aus Münster Schule macht? Und die Münsteraner Polizei? Hat am kommenden Sonntag erst einmal mit dem emotional aufgeladenen Derby zwischen Preußen Münster und dem VfL Osnabrück zu tun. Hierbei sind zwar wie schon im Hinspiel keine Gästefans zugelassen – auf Bestreben der Polizei und des Verbands. Der Verein bedauert das, Fanszenen in ganz Deutschland und auch das Fanprojekt in Münster lehnen diese Form der Kollektivstrafen ab. Die Sicherheitsbehörden in Münster haben sich offenbar entschieden, gegenüber den Fans nur noch repressiv zu wirken.