nd-aktuell.de / 04.03.2016 / Politik / Seite 16

US-Gewerkschaften reden VW ins Gewissen

Der VW-Standort Mexiko leidet besonders unter dem Abgasskandal. Der Konzern tut jedoch wenig, um verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen und sucht stattdessen Krach auf allen Ebenen

Vincent Theodor
In den USA sinken die Produktions- und Absatzzahlen von Volkswagen massiv. Die Weigerung, mit der US-Autoarbeitergewerkschaft UAW über einen Tarifvertrag zu verhandeln, macht das Image nicht besser.

Das Wahlergebnis war eindeutig. Mehr als 70 Prozent der Facharbeiter des VW-Standortes in Chattanooga stimmten Anfang Dezember für eine gewerkschaftliche Vertretung durch die Autoarbeitergewerkschaft UAW. Zu Tarifverhandlungen für die rund 160 Beschäftigten ist es jedoch bis heute nicht gekommen. Die Verantwortung für den Stillstand trägt das Unternehmen. Nachdem das Management vorab erfolglos versucht hatte, die Wahl mit einer Beschwerde beim »National Labor Relations Board« (NLRB), der für Arbeitsbeziehungen zuständigen Bundesbehörde, zu verhindern, setzt man nun alles daran, den Urnengang im Nachgang juristisch anzufechten. Das verspricht zwar wenig Chancen auf Erfolg, schließlich war die Wahl von der Arbeitsbehörde genehmigt und überwacht worden, doch die damit einhergehende Verzögerung der offiziellen Anerkennung und damit der Tariffähigkeit sorgt für Verunsicherung und Frustration bei den betroffenen Beschäftigten. Denn solche Verfahren können sich erfahrungsgemäß hinziehen. Sie gehören deshalb auch zum Standardrepertoire gewerkschaftsfeindlicher Unternehmensberater, sogenannter Union Buster.

Insgesamt hat das Werk in Tennessee rund 2500 Beschäftigte, davon etwa 1450 Arbeiter. Aufgrund der hohen Hürden für eine Interessenvertretung gehen Gewerkschaften inzwischen häufig schrittweise vor und organisieren zunächst Teileinheiten eines Unternehmens. So auch in diesem Fall. Gleichwohl hat die UAW wiederholt darauf verwiesen, dass ihr inzwischen mehr als 50 Prozent der Gesamtbelegschaft in der Produktion angehören.

Die beharrliche Weigerung Volkswagens, mit der UAW zu verhandeln, hat mittlerweile auch den US-Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO auf den Plan gerufen. »Die 12,5 Millionen Frauen und Männer des AFL-CIO rufen Volkswagen dazu auf, eine neue Seite aufzuschlagen, gemachte Versprechen einzulösen und sich mit der UAW Local 42 an den Verhandlungstisch zu setzen, um einen Tarifvertrag auszuhandeln«, heißt es in einem Statement des geschäftsführenden Vorstandes von vergangener Woche. Dass VW Gespräche mit der UAW bisher abgelehnt hat, widerspreche nicht nur früheren Aussagen des Unternehmens, »sondern verstoße auch gegen die eigene Charta der sozialen Rechte und Arbeitsbeziehungen bei Volkswagen«, so die Erklärung weiter. Um das Vertrauen nach dem Abgasskandal zurückzugewinnen, müsse VW nun beweisen, dass die Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, »mehr als ein Slogan und eine Strategie für die Öffentlichkeitsarbeit ist«.

Ein Blick auf die aktuelle Situation des Autobauers in den USA scheint diese Forderung zu untermauern. Kundenvertrauen und Image sind schwer angeschlagen. Gleichzeitig ziehen sich die Verhandlungen mit den US-Behörden zur Lösung der Abgasproblematik hin, so dass seit Monaten keine Neuwagen mit Dieselmotor verkauft werden können. Im Ergebnis sank im Jahr 2015 der US-Absatz von Fahrzeugen der Marke Volkswagen nach Angaben des Fachinformationsdienstes Automotive News im Vergleich zum Vorjahr um 4,8 Prozent auf unter 350 000 Einheiten, während der Markt insgesamt um 5,7 Prozent gewachsen ist. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres lag der Rückgang sogar bei 13,8 Prozent.

Das bleibt auch nicht folgenlos für die Produktion. Am Standort Chattanooga verließen im Jahr 2015 laut Automotive News nur noch knapp 83 600 US-Modelle des Passats das Band. Im Vorjahr hatte das Volumen noch bei etwas mehr als 117 500 Fahrzeugen gelegen. Ein Negativtrend, der sich im Januar 2016 fortgesetzt hat. Lediglich 5760 Einheiten wurden im Januar 2016 hergestellt, im Vorjahresmonat waren es noch 7022 PKW gewesen.

Schlimmer trifft es den Standort Puebla in Mexiko, wo ein großer Teil der Volkswagen für den US-Markt hergestellt werden: Produktion und Absatz sind dort um fast die Hälfte eingebrochen. Erreichte die Jahresproduktion 2015 mit rund 460 000 Einheiten noch in etwa das Vorjahresniveau (2014: 475 000), schlug der Negativtrend im Januar 2016 mit voller Härte durch. Nur noch knapp 20 000 Fahrzeuge wurden montiert, rund 15 000 PKW weniger als im Vorjahresmonat.

Die Auswirkungen auf die Beschäftigung sind derzeit schwer abschätzbar und hängen entscheidend davon ab, wie lange die Krise von VW noch anhält. Bis dato ist es jedoch weder in den USA noch in Mexiko zu einem größeren Stellenabbau gekommen. Allerdings hat der Konzernvorstand wiederholt angekündigt, die Rendite der Marke Volkswagen deutlich steigern zu wollen. Ob die USA in den Augen des Topmanagements und der Eigentümer dafür auch künftig als Sprungbrett gelten, oder schließlich zum Klotz am Bein erklärt werden, wird sich erst noch zeigen. Ginge es nach dem kapitalfreundlich gesonnenen »Autopapst« Ferdinand Dudenhöffer, wäre die Entscheidung längst gefallen. Schon im Oktober 2015 hatte er angeraten, »die Notbremse in den USA zu ziehen« und »die Marke VW dort vom Markt zu nehmen«. Den Beschäftigten in Chattanooga stehen also unsichere Zeiten bevor.