nd-aktuell.de / 04.03.2016 / Politik / Seite 11

SPD will zurück in den Römer

Die schwarz-grüne Mehrheit in Frankfurt am Main könnte bald Geschichte sein

Hans-Gerd Öfinger
Die Kommunalwahlen in Hessen am Sonntag gelten als Stimmungsbarometer für die anstehenden Urnengänge in drei Bundesländern. 'Vor allem Schwarz-Grün hat offenbar deutlich an Reiz verloren.

Im Sechs-Millionen-Land zwischen Neckar und Weser treten am kommenden Sonntag 17 Parteien und rund 566 Wählergruppen zu den Kreis- und Gemeindewahlen an. Sie stehen diesmal aber nicht nur für die künftige Verteilung kommunaler Mandate. Die Signale aus hessischen Rathäusern haben eine Woche vor drei wichtigen Landtagswahlen bundesweit Bedeutung. In Stadt und Land werben auffällig viele Landräte und Bürgermeister auf Plakaten für ihre jeweiligen Parteien, obwohl sie als Verwaltungschefs bereits direkt gewählt sind und die Mandate gar nicht annehmen könnten. So die in früheren Wahlen abgestrafte SPD in Darmstadt diesmal die Ex-Bundesministerin, Bundestagsabgeordnete und Berliner Staatssekretärin Brigitte Zypries als Nr. 1 ins Rennen. Insider bezweifeln, ob sie für ein kommunales Mandat vom fernen Berlin aus viel Zeit aufbringen kann.

Einen neuen Rekord stellt mit 20 Listen und 985 Kandidaten die Bankenmetropole Frankfurt auf. Da alle Bewerber mit Kästchen für bis zu drei Kreuze auf dem Stimmzettel aufgeführt werden müssen, ist der aufgefaltete Papierbogen knapp 1,50 Meter breit. Ohne Fünf-Prozent-Hürde dürfte hier schon ein Abschneiden um ein Prozent für einen der 93 Sitze im historischen Rathaus Römer genügen.

In Frankfurt am Main treten neben den etablierten Parteien auch fünf weit rechts angesiedelte Gruppierungen an. Hier dürfte der Bundestrend vor allem die AfD begünstigen, die schon bei den Landtags- und Bundestagswahlen in Hessen im Jahr 2013 aus dem Stand vier bzw. 5,6 Prozent der Zweitstimmen geholt hatte. Bei Umfragen in Bezug auf Landtagswahlen verbucht die AfD in Hessen derzeit Werte von zwölf Prozent. Ein Repräsentant des Fußballclubs Eintracht Frankfurt warnte jüngst vor einer Wahl der Rechtspartei. Mit ihren »dumpfen Parolen« passe die AfD nicht in das weltoffene Frankfurt, so Vorstandsmitglied Axel Hellmann. Die hessische CDU hat eine Zusammenarbeit mit der AfD in kommunalen Parlamenten ausgeschlossen.

Zu den Exoten auf dem Frankfurter Stimmzettel gehören zwei von ehemaligen SPD-Aktivisten gegründete Listen, die von der Ex-Grünen-Bundessprecherin Jutta Ditfurth angeführte ÖkoLinX und eine Vereinigung von Migranten aus Europa. Gemäß Europarecht sind auch EU-Bürger bei Kommunalwahlen stimmberechtigt.

Während sich die LINKE in Frankfurt Hoffnungen auf stadtweit mindestens neun Prozent machen kann, möchte die SPD nach einem Tief von 21,3 Prozent vor fünf Jahren diesmal die 30-Prozent-Hürde überspringen, die schwächelnde CDU auf Platz zwei verweisen und künftig wieder eigene Dezernenten im Rathaus stellen. Weil auch die Grünen, denen 2011 nach der japanischen Atomkatastrophe der »Fukushima-Effekt« zu gut 25 Prozent verhalf, am Sonntag wohl Federn lassen müssen, könnte die schwarz-grüne Mehrheit im Römer bald Geschichte sein. Dies wäre auch ein Dämpfer für Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), der seine Koalition mit den Grünen im Land als Modell für den Bund anpreist.

Die Chancen für Rot-Rot-Grün im Römer beurteilen linke Kommunalos dennoch skeptisch. Man sei jedoch zu Gesprächen über einen »echten Politikwechsel« bereit, so LINKE-Fraktionschefin Dominike Pauli. Unterstützer in Kassel, Marburg und Wiesbaden berichten über eine hohe Motivation der Wahlkämpfer und großes Interesse in der Bevölkerung. Heißes Thema im rot-grün regierten Kassel ist beispielsweise die Streichung von Buslinien und die Ausdünnung von Straßenbahnfahrplänen.

Um landesweit wieder stärkste Kraft in den Kommunen zu werden, sammelt die SPD, die im Landtag seit 1999 auf die Oppositionsbänke verbannt ist, derzeit Unterschriften für gebührenfreie Kitas in Hessen. Damit soll an ein Wahlkampfversprechen Bouffiers aus 2013 erinnert werden. Die schwarz-grüne Koalition will davon jetzt nichts mehr wissen.

Der Einsatz von Unterschriftenlisten zur Wahlmobilisierung hat in Hessen Tradition. 1999 bescherte eine rassistische Kampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft der CDU unerwartet einen knappen Wahlsieg im Land. 2008 erregte die SPD mit Unterschriften für einen nicht näher quantifizierten Mindestlohn Aufsehen und holte die CDU beinahe ein.

Druck auf die Landesregierung kommt auch von den Gewerkschaften. »Vor den Wahlen hören wir viele gute Reden, wie wichtig eine gute Bildung ist. Gleichzeitig bekommen wir zu hören, dass leider kein Geld da sei«, heißt es in einem Aufruf zu einem landesweiten Aktionstag am Donnerstag. Mehrere tausend Gewerkschafter, Schüler und Eltern folgten diesem Appell und gingen am Nachmittag in Kassel und Frankfurt am Main auf die Straße. Im Mittelpunkt standen die Kritik an den Ausgabenkürzungen der schwarz-grünen Landesregierung und Forderungen nach einer stärkeren Finanzausstattung der Kommunen, besseren Arbeits- und Lernbedingungen im Bildungswesen und einem »handlungsfähigen Sozialstaat«.