Sechs auf einen Streich

Von Medaillen, Rekorden und dem Fluch des alltäglichen Rassismus

  • Lesedauer: 3 Min.

Er wurde als jüngstes von zehn Kindern eines Farmpächters geboren. Nach dem Besuch der Highschool nahm er mit 18 Jahren ein Pädagogikstudium an der Ohio State University auf, wo er seiner Hautfarbe wegen allerdings nicht auf dem Campus wohnen durfte. Dank seiner athletischen Begabung und seiner bereits erbrachten sportlichen Leistungen erhielt er immerhin ein Stipendium, mit dem er die hohen Studiengebühren und seine Miete bezahlen konnte. Für Bücher, Kleidung und andere Dinge des Lebens reichte das Geld hingegen nicht. Er war deshalb gezwungen, als Liftboy auf dem Campus sowie als Page im Parlament von Ohio zu arbeiten.

Während seiner Studentenzeit hielt er sich am liebsten auf dem Sportplatz auf, wo er gleich mehrere Disziplinen trainierte. Ein Lehrer erkannte hierbei sein Talent, förderte ihn nach Kräften und machte ihn zum ersten schwarzen Mannschaftskapitän an der Ohio State University. Um ein Haar hätte seine Karriere ein frühzeitiges Ende gefunden: Bei einer Rauferei im Treppenhaus des Studentenwohnheims stürzte er und zog sich eine Rückenwirbelverletzung zu. Sein Lehrer und Trainer riet ihm deshalb, an dem für den folgenden Tag angesetzten Wettkampf nicht teilzunehmen. Doch er trat an - und lief binnen einer Dreiviertelstunde sechs Weltrekorde.

In den Zeitungen stand davon jedoch wenig zu lesen. Kein Reporter hatte mit dem, wie es abfällig hieß, »Ohio State Negro« auch nur ein Wort gewechselt. Zum Jahrhundertsportler wurde er von vielen erst dann gekürt, als er wenig später bei einem internationalen Großereignis vier Goldmedaillen gewann. Dabei hatte er zunächst gar nicht starten wollen, weil die Gastgeber jüdische und dunkelhäutige Athleten von Staats wegen diskriminierten. Am Ende jedoch beugte er sich dem Druck der heimischen Sportfunktionäre.

Nach seinem großen Triumph sollte er weitere Wettkämpfe in London bestreiten. Da die Bedingungen für die Sportler aber denkbar schlecht waren, reiste er eigenmächtig zurück in seine Heimat, auch um seine Familie wiederzusehen. Denn er war inzwischen verheiratet und Vater einer Tochter. Zwei weitere Töchter kamen in den folgenden Jahren hinzu.

Die Funktionäre blieben indes unerbittlich. Er wurde suspendiert und geriet alsbald in finanzielle Schwierigkeiten. Was ihn jedoch am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass er trotz seines spektakulären Erfolgs vom Präsidenten seines Landes offiziell keinen Glückwunsch erhalten hatte. Bei der Ehrung der Sieger in einem Luxushotel musste er sogar den Warenaufzug nehmen.

Nach Absprache mit seinem Trainer beendete er bereits mit 23 Jahren seine Sportkarriere. Danach machte er Werbung und beteiligte sich an Schaurennen, bei denen seine Gegner jeweils einen deutlichen Vorsprung erhielten. Mitunter maß er seine Kräfte auch mit Rennpferden und gewann. Außerdem tourte er als Dirigent einer Jazzband durch die Lande. Doch das Vermögen, das er dabei verdiente, verlor er wieder an der Börse. »Ich war zum Spektakel geworden, ein verrückter Kerl«, erzählte er später.

Mit 37 Jahren kehrte er zurück an die Universität und übernahm dort eine Stelle als Assistenztrainer. Nach seinem Ausscheiden arbeitete er als Leiter eines nationalen Fitnessprogramms und gründete eine PR-Agentur.

Während er im Ausland längst als lebende Legende galt, fand er nun auch in seiner Heimat die erhoffte Anerkennung. Er wurde zum »Botschafter des Sports« ernannt, in die Ruhmeshalle der Leichtathletik aufgenommen und mit der Freiheitsmedaille des Präsidenten geehrt. Über seinen Weg zum Erfolg hielt er bis zu 200 Vorträge pro Jahr und veröffentliche mehrere Bücher.

Dass er im Alter an Lungenkrebs erkrankte, war vermutlich seinem immensen Verbrauch an Zigaretten geschuldet. Er zog sich daraufhin weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Wenig Monate später starb er - im Alter von 66 Jahren.

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