Zwischen Niesel- und Starkregen

Münster ist eine Reise wert, selbst wenn es schüttet wie aus Kannen.

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.

Möglicherweise muss ja irgendwann einmal ein Teil der 1200-jährigen Geschichte Münsters umgeschrieben werden. Denn dass es seit rund 600 Jahren die Aufgabe des Türmers von St. Lamberti sei, bei Feuer Alarm zu schlagen, kann gar nicht stimmen! Weil es in Münster nämlich immer regnet und so jedes Flämmchen gelöscht wird, noch ehe es ein Feuer werden kann! Das Standardwetter hier, so behaupten zumindest die Einheimischen, bewege sich zwischen Niesel- und Starkregen. Während eines Besuchs vor zwei Wochen jedenfalls traf das hundertprozentig zu. Doch erstaunlicherweise konnte das »Meimeln«, wie die Münsteraner das nennen, wozu man anderswo sagt, es regne Bindfäden, der Stadt nicht ihren Reiz nehmen, und schon gar nicht kam der Gedanke auf, die Zeit bis zur Heimreise im gemütlichen Mövenpick-Hotel »auszusitzen«. Denn: Wo man schon ein eigenes Wort für Dauerregen erfunden hat, ist man in jeder Hinsicht gut auf Sintfluten vorbereitet. Nur ein einziges Mal nutzte alle Weitsicht nichts, am 28. Juli 2014, als innerhalb von sieben Stunden rund 250 Liter Regen pro Quadratmeter fielen. Die halbe Stadt soff regelrecht ab, und nur Dank der Helfer aus ganz Deutschland konnte sie wieder trockengelegt werden.

Kommen Sie mit auf eine Tour durch die Fahrradhauptstadt in Westfalen, die vor einem Jahr die 300 000-Einwohner-Grenze geknackt hat und sich seitdem Großstadt nennen darf. Jeder Münsteraner besitzt wenigstens zwei Räder, von denen gefühlt die Hälfte stets im Stadtbild präsent ist. Selbst wenn es Hunde und Katzen regnet, treten die Einheimischen in die Pedale, notfalls auch mit Schirm in der Hand, und sie machen dabei erstaunlicherweise auch noch eine gute Figur. »Reine Trainingssache«, erklärte eine Frau schmunzelnd.

»Entweder es regnet, oder es läuten die Glocken«, sagt man hier. »Und wenn beides zusammenfällt, dann ist Sonntag.« Bei rund 90 Kirchen kann man sich vorstellen, was sonntags los ist. Eine davon ist besagte St. Lamberti. Über die Jahrhunderte waren es stets Männer, die täglich halbstündlich zwischen 21 und 0 Uhr in alle vier Himmelsrichtungen von der Türmerstube in 75 Meter Höhe ins Horn blasend verkündeten, dass in der Stadt alles in Ordnung ist. Anfang 2014 hat mit der heute 35-jährigen Martje Saljé erstmals eine Frau das höchstgelegene städtische Büro bezogen. Dienstags allerdings darf es keinesfalls brennen, denn dann hat sie frei.

Wahrscheinlich haben die Altvorderen auch wegen der statistisch belegten 190 Regentage im Jahr die Häuser beidseitig des Prinzipalmarktes, der eigentlich eine breite Straße ist, mit großzügigen Arkadengängen gebaut. So kann man sich trockenen Fußes durch die »Gute Stube« Münsters bewegen und ruiniert beim Schaufensterbummel weder Frisur noch Klamotten. Wobei Regen gerade am Prinzipalmarkt für einen besonders schönen Effekt sorgt: Die über Jahrhunderte von unzähligen Füßen glattgelaufene Buckelpflasterstraße glänzt wie frisch poliert. Mit ihren 48 Bogenhäusern im Gotik- und Renaissancestil spielt sich hier seit jeher ein Großteil des städtischen Lebens ab. Einst boten Händler und Kaufleute unter den Arkaden ihre Waren an, heute wird flaniert, eingekauft und gefeiert. Mittendrin in Münsters schönster Bummelmeile steht das Historische Rathaus, in dessen ehemaliger Ratskammer 1648 der Westfälische Friede ausgehandelt wurde, der den Dreißigjährigen Krieg beendete.

Wenn man durch die Stadt mit ihren prachtvollen alten Häusern schlendert, will man gar nicht glauben, dass sie im Zweiten Weltkrieg von britischen und amerikanischen Bomben zu 90 Prozent dem Erdboden gleichgemacht wurde. Dass man entschied, zumindest die Innenstadt in starker Anlehnung an den Vorkriegszustand wiederaufzubauen, ist dem Drängen der Bevölkerung zu verdanken. Eine weise Entscheidung, denkt man an so viele andere Städte, die ihr Gesicht nach 1945 komplett verändert haben.

Auch den imposanten St. Paulus Dom verschonten die Bomber nicht. Zehn Jahre lang dauerte seine »Auferstehung«, seit 1956 steht er Gläubigen wie Besuchern wieder offen. Er wurde im 13. Jahrhundert an der Stelle erbaut, wo zuvor ein Kloster stand, dass der friesische Missionar Liudger an einer Furt des Flüsschens Münstersche Aa 793 errichten ließ. Drumherum entwickelte sich schnell die Stadt, die nach dem Fluss benannte wurde. 1170 erhielt Münster Stadtrecht, und man begann mit dem Bau einer gut vier Kilometer langen Stadtmauer. Von der allerdings ist nichts mehr zu sehen. Im 18. Jahrhundert ließ man sie abreißen. Die Steine wurden für den Bau des Schlosses, jetzt Sitz der Westfälischen Wilhelms-Universität, verwendet, und auf der einstigen Fläche der Stadtmauer entstand eine parkähnliche Promenade, die heute ausschließlich Radfahrern und Fußgängern vorbehalten ist.

Trotz fiesen Regens, diese Velopiste muss getestet werden! Aber ehrlich, bei dem Schietwetter macht das nicht wirklich Spaß. Als bessere Alternative erweist sich der Besuch eines der 30 Museen, die Münster zu bieten hat. Doch welches? Das Museum für Lackkunst vielleicht oder das Pferdemuseum? Domkammer, Picasso- oder Bibelmuseum? Lepramuseum oder Friedenssaal im Rathaus? Die Wahl fällt auf das Museum für Kunst und Kultur, das es schon seit 1908 gibt. 2014 erhielt es noch einem futuristischen Neubau. So entstand nicht nur ein besonderer Hingucker, sondern auch eines der größten Kunstmuseen Nordrhein-Westfalens. Auf insgesamt 7500 Quadratmetern werden wechselnde Schätze aus über 1000 Jahren Kunst- und Kulturgeschichte gezeigt. Zahlreichen weltbekannten Namen begegnet man in den 51 Sälen: August Macke, Lucas Cranach d. Ä., Max Slevogt, Paula Modersohn-Becker oder Edvard Munch. Auch der Besen vor einem Dreckhaufen ist Kunst, erfährt der Besucher, der sich darüber wunderte, warum man den Müll nicht weggeräumt hat. Viel mehr darüber kann eine äußerst gesprächige Putzfrau erzählen, die nach dem Motto »Ist das Kunst oder kann das weg?« den Museumsgästen an den langen kostenlosen Freitagen, durch die zeitgenössische Abteilung wischend und feudelnd, ihre ganz eignen Ansichten zu so manchem Werk vermittelt.

Bei schönerem Wetter hätte sich bestimmt auch ein Spaziergang um den Aasee gelohnt, ein 40 Hektar großer künstlich angelegter Stausee inmitten eines mehr als doppelt so großen Parks. Vielleicht beim nächsten Mal. Tschüss Münster, wir kommen wieder, wenn der Regen wärmer ist!

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