Tendenz: Tanz pur

Tanzplattform

  • Boris Gruhl
  • Lesedauer: 3 Min.

In diesem Jahr war die »Tanzplattform Deutschland« an ihren Ursprungsort zurückgekehrt. Im Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main war dieses »Theatertreffen des Tanzes« 1994 erstmals ausgerichtet worden. Von dort konnte es sich nun in der ersten Märzwoche ausweiten in die Zentren der Rhein-Main-Region mit Veranstaltungen in Bad Homburg, Darmstadt, Offenbach. Inhaltlich und künstlerisch gelang eine Ausdehnung jedoch nur bedingt. Die immer wieder beschworene Erweiterung des Tanzbegriffes gelangte an Grenzen, insbesondere dann, wenn der inflationär gebrauchte Begriff der Performance dazu führte, dass man sich von jeglicher Art des Tanzes verabschiedete.

Zur Eröffnung des diesjährigen Festivals mit zwölf Gastspielen, die von der Jury aus über 200 besuchten Aufführungen ausgewählt waren, zeigte das etablierte Regieduo Gintersdorfer/Klaßen im Frankfurter Schauspielhaus »Not Punk, Pololo«. Wüsste man nicht, dass dieses Stück schon älter ist, man hätte diese multikulturelle Parade der Popkulturen für eine Auftragsarbeit zur Illustration der sich wiederholenden Eröffnungsreden halten können. Denn da war selbstverständlich die Rede von den Versuchslaboren des Tanzes, von der Internationalität dieser Kunst als Spiegel der sich wandelnden Gesellschaft hin zu einem erweiterten Deutschlandbegriff und von den Problemen der Übersetzung und der Verständigung im Hinblick auf die konkrete Aufführung.

Ebenso etabliert wie Gintersdorfer/Klaßen und Isabelle Schad, die sich mit »Collective Jumps« schreitend und schwingend den Traditionen des Volkstanzes zuwandte und sich dabei in esoterischem Leerlauf verknotete, ist Meg Stuart mit ihrer Kompanie Damaged Goods, die ihre vorerst letzte Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen zeigte. »Until Our Hearts Stop« hätte zum grandiosen Satyrspiel werden können, mangelte es diesem über zweistündigen Abend, dem nach der Hälfte die Luft ausgeht, nicht an einem durchgehenden Maß dramaturgischer Konsequenz.

Die zukunftsweisenden Impulse kamen von jüngeren Künstlerinnen und Künstlern. Deren Abkehr von performativen Beiläufigkeiten hin zu choreografischer und tänzerischer Konzentration wusste zu erstaunen. So die Arbeit von Adam Linder, die sich auf Léonide Massines Choreografie »Parade«, zur Musik von Erik Satie, in der Ausstattung Pablo Picassos von 1917 für die Ballet Russes bezieht. Linder kopiert nicht, bestenfalls zitiert und ironisiert er in seiner heiteren Parade alltäglicher Eitelkeiten.

Ganz ohne Musik, hergeleitet aus den sich wiederholenden Endlosschleifen der Bewegungsformate aus dem Fitnesswahn, präsentierte Paula Rosolen ihr Ballett in drei Akten »Aerobics!« In den normativen Bewegungen der Alltagskultur entdeckte sie Spuren des klassischen Balletts.

Eine Arbeit von existenzieller Eindringlichkeit, suggestiv und sensibel, präsentierte der Tänzer und Choreograf Ian Kaler gemeinsam mit Philipp Gehmacher und der Soundkünstlerin Aquarian Jugs (Jam Rostron). Kalers Choreografie heißt »o.T. (gateways to moments)« und ist ein 50 Minuten währender Pas de Dux in der Spannung aus Einsamkeit und deren Überwindung. Kein Wort, kein Video - die Dynamik aus Körpersprache und Klang war hier in der Korrespondenz zum Raum beredt genug.

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