Cabaret mit Caligula

Erich Kästners »Fabian« als Revue am Landestheater Altenburg

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Du wirst von niemandem beachtet - gerade deshalb nimm aufrechte Gestalt an. Und gib die nicht wieder her. Denn Gang und Haltung dürfen den Tanz nicht verraten, den du doch weiter heimlich träumst - mitten in dieser fleißig schwitzenden, aufgekratzt müden Wirklichkeit, die dich abstößt. Stürz dich in Mutproben, aber: Wehmut- und Schwermutproben sollten es sein, nicht Kampfesmut. Der macht die Welt nicht schöner - obwohl er so nötig bleibt, damit die Welt nicht noch hässlicher wird. Leben oder kämpfen. Elender Widerspruch. Fabians Tragik: darin unterzugehen.

Fabian will beim Blick auf die Welt von scharfsinnigen Komplikationen so wenig wissen wie von nichtssagenden Abstraktionen. Das treibt den arbeitslosen promovierten Germanisten, der Anfang der dreißiger Jahre die Berliner Nacht als distanzierter Zeitzeuge erkundet, in die Gefilde des ständigen Rausches: in die Welt der Bordelle, der extravaganten Künstlerateliers und der illegalen Kneipen. Wo man trinkt, lebt und irgendwie liebt. Als gäbe es kein Morgen. Es gab auch keines, damals. Auf seiner Reise durch diese Halbunterwelt erlebt Fabian eine süße, doch enttäuschende Liebe, er erfährt den bitteren Kampf zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten sowie den Freitod eines idealistischen Freundes, und am Ende, nun ja - das Ende. Verwirrte Zeit, verwirrte Menschen.

»Fabian. Die Geschichte eines Moralisten«, den Roman von Erich Kästner hat Fabian Alder für das Landestheater Altenburg zur Revue modelliert, er führte auch Regie (Bühne, Kostüme: Ines Nadler). Verzicht auf jede vordergründige Aktualisierung - vielleicht ein Verlust an Verstörung, vielleicht ein Gewinn: Möge jeder selber deuten, wo sich Zeiten gleichen und unterscheiden. Glitzervorhänge, Galatreppe, die Glühlampen gleißen - das Schmissige schmeißt sich in Schale. Über der Showszene ein Kasten. Für die Zimmerszenen. Kalt und schmucklos - privat und intim gilt hier nicht. Das Theater jagt durch den Roman. Seelische Feinheiten? Kaum. Ein kleines Theater schwingt sich ins Große, und Revue heißt: Das gröbere Raster ist gewollt. Sowas wie herzliche Unnahbarkeit.

Charme und Geschmeidigkeit aber fallen keineswegs durchs Raster. Nur eben die Traurigkeit, das Seufzen, der Herzton. Mikroports und Herzton, das geht nicht zusammen. Dabei ist Manuel Struffalino, gewissermaßen, eine ganzkörperliche Melancholie. Wie ein verlorener Turnschuh im Tanzpalast. Sein Fabian: gescheit, sehr lapidar und gern gewollt schnodderig. Allen Spielern zur Seite: Caligula, erfunden vom Regisseur, gespielt von Anne Diemer. Ein Conferencier mit fliegenden Rockschößen. Führt durch die Handlung, ist der böse Verführer. Wie der Zeremonienmeister aus dem Kit Kat Klub des »Cabaret«-Films.

Ein siebenköpfiges Ensemble in insgesamt vierzehn Rollen. Rasanz und Rhythmik. Tanz und Travestie. Titanic-Fete, wo doch alles schon leck ist. Fabians Mutter, dem Sohn die Rettungs-Reliquie, schwebt über der Szene. Mitunter reiten die Figuren auf einem gigantischen Zeigefinger von links nach rechts: der Zeitgeist als Taxi ins Unglück. Plötzlich wird die Showtreppe zur Demütigungstour auf dem Arbeitsamt: von Stufe zu Stufe nur immer Vertröstungen für Fabian - die Treppe hinauf, die hinab führt; man kann geradezu sehen, wie Leitz-Ordner Biographien schlucken. Und überm Lied »Wann wir schreiten Seit an Seit« hebt sich ein großer Hammer, der Demonstrierende kurzerhand niederschlägt. Kabarett mit Schaumgummibäuchen, falschen Bärten, großen Gesten. Brechung, Ironie, Panoptikum.

Großartig der Live-Musiker Johannes Schleiermacher. Geräuschemacher. Saxofon, Flöte, Synthesizer - das 20. Jahrhundert wird durch den Wolf eines Melodien-Universums gedreht, und der Wolf heult, knurrt, frisst Kunstlied-Kreide, er ist ein Fuchs der Vielfalt. Schleiermacher rückt den Spielenden freejazzig geradezu auf den Leib, ein Dissonanzen-DJ, ein Sehnsüchte-Sampler - er öffnet alle Herzen mit der Art, wie er die Öffnungen seiner Blasinstrumente herzt. Wo die Inszenierung ihre kabarettistische Schnur zieht, haut Schleiermacher Kerben. Wo der Regisseur ganz Zeitkolorit ist, ist der Musiker das zeitlose Zittern der Lebensnetzgefangenen. Wo das Schauspiel das System Dänemark zeigt, in dem was faul ist, intoniert der Musiker den Hamlet.

Kästner nennt seinen Fabian einen Moralisten. Moralisch ist: Liebe, Treue, Mitleid, Gelassenheit, Bescheidenheit, Rücksicht, Großzügigkeit. Großzügigkeit wird verlacht, Rücksicht überfahren, Bescheidenheit verhöhnt, Gelassenheit bestraft, Mitleid geprügelt, Treue bespuckt, und die Liebe? Die blutet. So viel zur Moral. Fabian blutet nicht, denn man kann auch anders sterben. Ein kleiner Junge stürzt ins Wasser, und was Kästner jetzt schreibt (und Caligula als Schlusspointe grinst), gehört zur herzschneidendsten Lakonik deutscher Literatur. Selten so verwoben: der zarte Zynismus, einen Helden zu richten, mit der zynischen Zärtlichkeit, ihn zu betrauern.

»Da zog er die Jacke aus und sprang, das Kind zu retten, hinterher. Der kleine Junge schwamm heulend ans Ufer. Fabian ertrank. Er konnte leider nicht schwimmen.« Die klassische Ethik der zwei Pole: gut und böse. Gut ist, was anderen hilft - böse ist, was anderen schadet. Dafür gibt es eine Kürzestformel, die stammt auch von Kästner: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.«

Auch wenn man nicht schwimmen kann? Im Wasser, das dir bis zum Hals steht?

Nächste Vorstellungen: 3.4., 5. 4., 15.4.

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