nd-aktuell.de / 31.03.2016 / Kultur / Seite 15

Das Monster in uns

Im Kino: »10 Cloverfield Lane« von Dan Trachtenberg ist ein raffiniertes psychotisches Kammerspiel

Tobias Riegel

Ein äußerer Feind verleiht Macht. Er schüchtert ein und bringt Menschen dazu, duldsam gegen die eigenen Bedürfnisse und Überzeugungen zu handeln. Je ungreifbarer, unsichtbarer, mysteriöser dieser Feind ist, umso überzeugender kann seine (angebliche) Existenz von interessierter Seite ausgebeutet werden. Ist jemand (angeblich) im Besitz von Abwehrtechniken gegen jenes »Böse«, so kann er diesen Vorteil nutzen, um sich Schutzsuchende untertan zu machen. Bei diesem Modell kann der »Beschützer« für seine Ausbeutung der Angst sogar noch Dankbarkeit einfordern - der unsichtbare Feind draußen vor der Tür oder der Grenze macht Vieles möglich, wie auch die aktuelle Instrumentalisierung der »Feinde« Russland und Islam gut illustriert.

Auch in Dan Trachtenbergs toll geschriebenem, gespieltem und inszeniertem Thriller-Kammerspiel »10 Cloverfield Lane« lauert ein Feind vor der Tür. Und was für einer! Ja, was denn für einer? Der Zuschauer weiß es nicht, und dieser Fakt und das raffinierte Spiel damit schüren den Nervenkitzel in diesem intelligenten und rätselhaften Dreipersonenstück auf engstem Raum immer wieder neu an.

Michelle (Mary Elizabeth Winstead) erwacht nach einem Autounfall in einem unterirdischen Verließ. Ihre Wunden wurden verbunden, sie hängt an einem Tropf - und ist an die Wand gekettet. Sie ist nicht allein. Howard, der beleibte Herr des aufwendig ausgebauten und mit Lüftung, Lebensmitteln, einer Dusche und anderem Komfort vollgestopften Privatbunkers, erklärt der schockierten Frau die Situation: Es gab einen monströsen chemischen oder nuklearen Angriff, die Atmosphäre »draußen« oder »oben« ist vergiftet, er, Howard, habe Michelle gerettet, sie dürfe ruhig ein bisschen dankbar sein, er löst auch die Kette. Der Haken: Die nächsten Jahre sei an ein Verlassen des schützenden Kellers nicht zu denken, es sei aber für alles gesorgt, sogar Monopoly und VHS-Kassetten hat der vom vortrefflichen John Goodman als vielschichtiges, komplexes und daher unberechenbares Nervenbündel gespielte Howard am Start. Hier hat einer sehr viel Mühe und Zeit investiert, um sich für den Fall einer Katastrophe schon mal eine künstliche unterirdische Idylle zu schaffen. Hier fehlt nur der Jägerzaun. Wünscht man sich bei so viel Vorbereitung das Armageddon vielleicht selber herbei, bildet es sich notfalls gar ein?

Es gibt den Film »Cloverfield« von 2008, der im aktuellen Filmmarketing zwar nicht als direkter Vorgänger, aber doch (etwas rätselhaft) als »Verwandter« von »10 Cloverfield Lane« eingeführt wird. Bei diesem (mit dem cleveren Folgefilm gar nicht vergleichbaren) Namensvetter jedenfalls zerstört ein außerirdisches Monster New York. Wer diesen Film kennt, hat den Bunkerinsassen Wissen voraus: War die angebliche Chemieattacke (Howard grübelt noch, ob es die Russen oder die Marsianer waren) in Wirklichkeit ein neuer Angriff der riesigen Alien-Echse? Oder gab es überhaupt keinen Angriff, und alles ist nur der aufwendige Entführungsplan des raffinierten Psychopathen Howard?

Letztere Deutung liegt zunächst nahe, wird aber durch geschickte Verunsicherungen immer wieder stark in Zweifel gezogen: Bei seltenen Blicken nach draußen denkt Michelle, kontaminierte Menschen und Tiere gesehen zu haben. Auch ein Paranoiker kann schließlich mal die Wahrheit sagen. Bis zum nochmals wendungsreichen Finale ist der Zuschauer hin- und hergerissen. Am bedrückendsten sind dabei die Phasen, in denen Michelle sich entschieden hat, Howard zu glauben, aufhört zu kämpfen und sich vorübergehend auf ein jahrelanges Dasein unter der Erde einrichtet.

Gerade wurde mit »Raum« das Thema Gefangenschaft und Enge beeindruckend verfilmt. Im Gegensatz zu diesem Meisterwerk bleibt Trachtenbergs hochspannender Film natürlich auf der Unterhaltungsebene. Doch neben Goodmans großer Leistung und einem starken Script heben die Musik von Bear McCreary, die Kamera von Jeff Cutters und die Ausstattung von Ramsey Avery den Film auf hohes Niveau. Und er verhandelt interessante Fragen: Wo ist das Monster? Draußen? Im Bunker? In uns selber? Gibt es gar keins? Und warum sollte jemand eines erfinden?