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Abreißen und neu bauen

Bauindustrie will 3,5 Millionen alte Wohnungen durch neue ersetzen

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 3 Min.
Anstatt weiter Gebäude zu modernisieren, sprechen sich die Verbände der Bauwirtschaft für den Bestandsersatz aus. Dazu fordern sie Gesetzesänderungen.

Ein Tabu soll gebrochen werden: Die Bauforschungseinrichtung ARGE Kiel (Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Wohnen e.V.) hat mit dem Perschel-Institut am Dienstag eine Studie veröffentlicht, in der sie den konsequenten Abriss und anschließenden Neubau von Wohnungen vorschlägt. Der sogenannte Bestandsersatz sei gerade in der derzeitigen Phase notwendig und müsse als neue Ressource und Chance für mehr und besseren Wohnraum angesehen werden, so ARGE-Studienleiter Dietmar Walberg. Das derzeit staatlich geförderte Sanieren und Modernisieren von Gebäuden reiche nicht aus, um die drängenden Probleme am Wohnungsmarkt zu lösen.

Die Studie »Bestandsersatz 2.0 - Potenziale und Chancen« kommt zu dem Ergebnis, dass zwei drängende Probleme des Wohnungsmarktes durch den Abriss und Neubau von Wohnungen gelöst werden könnten: Zum einen der Mangel an altersgerechten Wohnungen und zum anderen die fehlende Energieeffizienz.

Von den rund zwölf Millionen Seniorenhaushalten verfügen nur 700 000 (sechs Prozent) über weitgehend barrierefreie und altersgerechte Wohnungen. Bis 2030 steigt der Bedarf an barrierefreien Wohnungen auf mindestens 2,9 Millionen Wohnungen. Um die Versorgungslücke zu decken, schätzt die Studie, dass jährlich mindestens 190 000 altersgerechte Wohnungen geschaffen werden müssten.

Zwischen 2010 und 2013 erhöhte sich der Modernisierungsstand im deutschen Wohngebäudebestand von 30 auf 34 Prozent. Vor allem energetische Modernisierungsmaßnahmen im Bereich der Heizungsanlagen, der Fenster und des Daches wurden durchgeführt. Allerdings können die Modernisierungen die Energieeffizienz von Neubauten nicht erreichen, außerdem enthielten sie keine Umbauarbeiten, die für altersgerechtes Wohnen notwendig sind.

Für Walberg sind beide Punkte zusammen das Argument, das für Bestandsersatz statt Modernisierung spreche: Bei der Modernisierung gibt es eine »Endlichkeit des Möglichen«, so Walberg.

Für die Studie wurde auch eine Kostenanalyse gemacht, die zeigt, dass unter Umständen der Abriss und Neubau von Gebäuden kostengünstiger sein kann als Renovierungsarbeiten - dann nämlich, wenn zugleich energetisch renoviert und altersgerecht umgebaut wird - ein Fall, den die Studie »Modernisierung plus« nennt.

Dafür bedarf es allerdings zweier Gesetzesänderungen, die die Bauverbände fordern: Erstens müsse es zu einer Erweiterung im Baugesetzbuch kommen, die es ermöglicht, dass Investoren Ersatzneubauten in den bisherigen Dimensionen des Altgebäudes bauen dürfen. Dabei müssen diese von den gesetzlichen Auflagen für Neubauten befreit werden, die zum Beispiel Tiefgaragen und Abstandsflächen zu Nachbargebäuden vorschreiben.

Zweitens fordern die Bauverbände, die die Studie in Auftrag gegeben haben, eine Anpassung der Förderung, bei der die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) energetische Sanierungen fördert. Diese Kredite gibt es für Modernisierungen, die bei Neubauten vorgeschrieben sind. Der Bestandsersatz werde allerdings nicht von der KfW gefördert. Und nur durch die Weitergabe der Förderungen an die Mieter, wie sie bereits bei Modernisierungen geschehe, könne der Neubau kostengünstiger als die Modernisierung vonstatten gehen.

Dass sowohl bei Modernisierungen als auch beim Bestandsersatz mit Mietpreisen von über zehn Euro kalt zu rechnen ist, verschweigt Walberg nicht. Für viele in den Ballungsgebieten ist dies aber schlicht nicht zu finanzieren. Auch wohin die Mieter zwischen Abriss und Bezug der neu errichteten Wohnung unterkommen sollen, wo in großen Städten akute Wohnungsnot herrscht, kann Walberg nicht befriedigend beantworten.

Zumindest liefert die Studie aber mit dem Fokus auf den Bestandsersatz ein weiteren Beitrag, die Wohnungsproblematik anzugehen.

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