nd-aktuell.de / 10.04.2016 / Politik / Seite 8

Reise nach England oder Anklage

Nordirland hält an seinem Abtreibungsverbot fest / Neuer Protest nach Verurteilung

Katharina Millar, Belfast
Eine 21-Jährige ist wegen eines Schwangerschaftsabbruchs verurteilt worden. Das nordirische Abtreibungsgesetz ist eines der schärfsten in Europa.

Auch wenn sich protestantische und katholische Fundamentalisten in Nordirland für gewöhnlich auf nichts einigen können, hier stimmen sie überein: Sie verstehen sich als »Lebensschützer«. Was man gerade in Polen durchsetzen möchte, die Kriminalisierung von Frauen für eine Abtreibung, ist in Nordirland seit viktorianischen Zeiten Realität. Das musste am Dienstag vergangener Woche eine 21-jährige Studentin in Belfast erfahren, die zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde.

Die junge Frau war infolge einer Anzeige ihrer Mitbewohner angeklagt worden, zwischen der 10. bis 12. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt durch Einnahme von »Gift« herbeigeführt zu haben. Das »Gift«? Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannten Abtreibungspillen Mifegyne und Misoprostol, mit denen inzwischen der Großteil der Schwangerschaftsabbrüche in Großbritannien durchgeführt wird.

Zwar fand sich die Republik Irland, die Fötus und schwangere Frau gesetzlich wertgleich stellt, in den letzten Jahren mehrfach in den internationalen Schlagzeilen, wenig bekannt ist jedoch, dass es in Nordirland um die Rechte für Frauen nicht viel besser steht. Ein Gesetz von 1861 erlaubt Abtreibung nur »bei Gefahr für das Leben« oder bei »nachweislich schwerwiegender und langfristiger Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes«. Die Höchststrafe bei Zuwiderhandlung liegt bei lebenslänglicher Haft, da ist sogar die Republik mit »nur« 14 Jahren liberaler.

1967 wurde Abtreibung in Großbritannien – England, Schottland und Wales – legalisiert. Die Kosten für einen Abbruch werden dort vom Gesundheitssystem übernommen. Das gilt jedoch nicht für Frauen aus Nordirland, wo aufgrund der Gesetzeslage und mangelnder Richtlinien für medizinisches Personal nur etwa 30 legale Abbrüche pro Jahr vorgenommen werden. Jährlich sind so über 1000 Frauen mit ungewollten Schwangerschaften oder nicht lebensfähigen Föten auf sich allein gestellt. Ihnen bleibt nur, auf eigene Kosten nach England zu reisen. Sogar der Oberste Gerichtshof in London hatte zuletzt im Mai 2014 eine Klage auf Kostenübernahme für ein 15-jähriges Mädchen zurückgewiesen.

Die Zahl der Frauen, die in Kliniken in England irische und nordirische Heimatadressen angeben – laut britischem Gesundheitsministerium waren es 4572 im Jahr 2014 – ist über die Jahre leicht gesunken. Gleichzeitig steigen die Zahlen für vom Zoll beschlagnahmte Abtreibungspillen, die über internationale Organisationen wie »Women on Web« oder »Women Help Women« nach medizinischer Beratung im Internet bestellt werden können.

Auch die junge Frau in Belfast hatte diesen Ausweg gewählt, da sie das Geld für den Abbruch in England nicht aufbringen konnte. In Nordirland scheine es ein unterschiedliches Gesetz für Reiche und Arme zu geben, befand ein Richter am Belfaster Obersten Gerichtshof im vergangenen November und urteilte ebenfalls, dass das Abtreibungsgesetz in seiner jetzigen Fassung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße.

Hunderte Frauen und Männer im Norden und Süden der Insel gehen bereits seit Monaten auf die Straße und fordern lautstark umfassende Gesetzesänderungen. Unterstützt werden sie dabei von Amnesty International, Gewerkschaftsvertretern, den neu entstehenden politischen Bewegungen und Parteien sowie Umfragen, nach denen sich etwa 70 Prozent der Bevölkerung für eine Entschärfung der Abtreibungsgesetze ausspricht.

Unionistische wie nationalistische Politiker weigern sich bisher einen Bedarf für eine Reformierung des Systems zu erkennen. Im Februar stimmten von den 108 nordirischen Parlamentariern lediglich 40 für Ausnahmen bei nicht lebensfähigen Föten, 32 für Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest. Hätte Sinn Féin sich auf ihrem Parteitag im vergangenen Jahr nicht dazu durchgerungen, Abtreibung zumindest in extrem limitierten Fällen zu befürworten, wären es gerade einmal fünf Stimmen gewesen.