nd-aktuell.de / 16.04.2016 / Politik / Seite 1

Böhmermann stürzt Majestätsbeleidigung

Kanzlerin Merkel ermächtigt von Ankara geforderte Strafverfolgung / Empörung von SPD über LINKE bis FDP

Vincent Körner
Im Fall Böhmermann lässt die Kanzlerin die Strafverfolgung wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten zu. Von SPD bis FDP sind alle dagegen. Zugleich fällt die umstrittene Strafnorm.

Die Entscheidung der Bundesregierung, eine Strafverfolgung des ZDF-Moderators Jan Böhmermann wegen des umstrittenen Paragrafen zur Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts zuzulassen, ist von FDP bis Linkspartei auf scharfe Kritik gestoßen. Selbst der Koalitionspartner SPD distanzierte sich auffallend deutlich von dem Votum. Dieses sei in der Bundesregierung »gegen die Stimmen der SPD-Minister gefallen«, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann. Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen machte deutlich, auf wen das Ja zur Strafverfolgung allein zurückgeht: Er »halte das für eine falsche Entscheidung der Kanzlerin«.

Merkel hatte am Freitag mitgeteilt, dass die notwendige Ermächtigung der Staatsanwaltschaft für eine Strafverfolgung erteilt worden sei. Die CDU-Chefin will damit keine Vorverurteilung des Moderators verbunden sehen - doch der Vorgang ist umstritten, weil sowohl das Schmähgedicht Böhmermanns auf den autoritären türkischen Staatspräsidenten zu großer Debatte geführt hatte als auch das förmliche Verlangen Recep Tayyip Erdogans nach einer Strafverfolgung auf Basis einer umstrittenen Rechtsnorm.

Eben diese will die Bundesregierung nun aber abschaffen. Paragraf 103 des Strafgesetzbuches sei »für die Zukunft entbehrlich«, sagte Merkel. Noch in dieser Wahlperiode soll der Paragraf fallen, die Änderung könnte dann 2018 in Kraft treten. Das wurde von der Opposition durchaus begrüßt - es änderte aber nichts an der Empörung gegen Merkel.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte, er sei »entsetzt darüber, dass die Entscheidung so gefallen ist«. Die Linkenpolitikerin Ulla Jelpke sprach mit Blick auf Erdogan von einer »Kumpanei« Merkels »mit dem Autokraten«.

»Heute hat sich Kanzlerin Merkel für ihren Abschiebepartner Erdogan und gegen die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit entschieden«, sagte Linksfraktionsvize Jan Korte. »Damit verletzt sie ihren Amtseid und beschädigt die Demokratie.« Es wäre laut Korte die Pflicht Merkels gewesen, »hinter dem Grundgesetz und den darin garantierten Freiheiten zu stehen«. Er kritisierte zudem die SPD, die »diese Entscheidung toleriert«.

Bei den Sozialdemokraten legte man Wert auf die Feststellung, dass alle SPD-Minister gegen Merkels Entscheidung gestimmt haben. Justizminister Heiko Maas und der für Auswärtiges zuständige Frank-Walter Steinmeier erklärten das Nein unter Verweis auf die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit in der Verfassung. Man sei sich »darüber einig, dass darüber, wo die Grenze zwischen Kunst und strafbarer Beleidigung verläuft, nicht die Regierung zu entscheiden hat, sondern die unabhängige Justiz.« Diese Prüfung werde aber »ohnehin erfolgen«.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte ebenfalls, Merkel sei vor dem türkischen Staatspräsidenten »eingeknickt«. Die Kanzlerin müsse nun mit dem Vorwurf leben, dass ihr der Bund mit der Türkei wichtiger sei als die Verteidigung der Pressefreiheit. Auch sei sie nicht mehr glaubwürdig, wenn sie »die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei, wenn sie die massiven Einschränkungen der Menschenrechte in der Türkei und wenn sie die Untaten des Regimes Erdogan in den Kurdengebieten anprangert«.

Kritik kam auch vom Deutschen Journalisten-Verband DJV und aus der FDP. Deren Vorsitzender Christian Lindner sagte, die Symbolwirkung des Falles sei »sehr groß«, daher hätte Merkel »politisch anders entscheiden müssen«. Die frühere FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisierte, die Bundesregierung mache »einen Kniefall vor Erdogan«. Auch wenn Merkel nun bereits angekündigt habe, den »antiquierten Paragraf 103« des Strafgesetzbuches abzuschaffen, sei es »absolut widersprüchlich«, jetzt dennoch »noch einmal aus politischen Gründen die Strafverfolgung zu ermöglichen«.

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