Physik für die Küche

Auch der Mikrowellenherd hat schon 70 Jahre auf dem Buckel. Der Erfolg kam allerdings erst mit kleinen, preiswerten Geräten. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Mancher »nd«-Leser dürfte zu Silvester 1988 etwas irritiert gewesen sein. Denn in einer Reportage aus dem VEB Kombinat Feinkeramik Kahla wurde einer der Direktoren mit den Worten zitiert, dass der Thüringer Betrieb auch mikrowellentaugliches Geschirr herstelle. Das Problem allerdings war: Der volkseigene Einzelhandel der DDR bot gar keine Mikrowellen an. Die waren für Privatleute nur für Westgeld im Intershop oder über Genex zu haben.

Heute sind Mikrowellenherde aus vielen deutschen Haushalten nicht mehr wegzudenken. Wer Appetit auf etwas Warmes, aber keine Lust zum Kochen hat, stellt einfach ein vorbereitetes Tiefkühlgericht in das Gerät und wenig später ist die warme Mahlzeit fertig. Auch im »nd«, wo praktisch immer Zeitdruck herrscht, wissen viele Mitarbeiter diese geniale Erfindung zu schätzen, deren Wirkprinzip der US-Ingenieur Percy Spencer vor 70 Jahren entdeckte.

Als Angestellter einer Elektrofirma namens Raytheon arbeitete Spencer seit 1941 an der Verbesserung des Magnetrons, eines pulsierenden Mikrowellensenders, der in den Radaranlagen der Alliierten zum Einsatz kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg ereignete sich im Labor der Firma einer jener legendären Zufälle, die am Anfang vieler großer Entdeckungen standen: Ein Erdnussriegel, den Spencer sich als Proviant eingesteckt hatte, begann in der Nähe eines Magnetrons plötzlich in seiner Hosentasche zu schmelzen.

Fasziniert von diesem Phänomen machte sich der Ingenieur auf die Suche nach dessen Ursachen. Als nächstes legte er Popcorn und ein rohes Ei neben das Magnetron. Das Popcorn platzte auf, das Ei explodierte. Danach packte er einige Nahrungsmittel in eine Metallkiste und setzte diese der Magnetron-Strahlung aus. Die so zubereiteten Speisen wurden heiß wie in einem Ofen - der Mikrowellenherd war erfunden. Dessen Funktion beruht darauf, dass die Wassermoleküle des Essens durch die erzeugte Strahlung in Rotation versetzt werden. Dabei steigt ihre kinetische Energie, und die Speise erwärmt sich, zumal die Wassermoleküle auch mit anderen Nahrungsmolekülen zusammenstoßen.

1947 baute Spencer den ersten Mikrowellenherd, der den Namen »Radarange« erhielt. Er war fast zwei Meter hoch, wog 340 Kilo und hatte eine Leistung von 3000 Watt. Mit 5000 Dollar war das Gerät indes so teuer, dass anfangs nur ein paar Krankenhäuser und Feldküchen es kauften.

1965 brachte eine Tochterfirma von Raytheon ein preiswerteres Modell auf den Markt, das insbesondere für Privatpersonen geeignet war. 1970 wurden in den USA 40 000 Geräte verkauft, 1975 waren es eine Million. Heute besitzen rund 95 Prozent der US-Haushalte eine Mikrowelle. Auch in Deutschland floriert der Absatz. Mittlerweile sind hierzulande rund 74 Prozent aller Haushalte mit Mikrowellen ausgestattet, wobei die Unterschiede zwischen Ost und West kaum noch ins Gewicht fallen. In Ländern mit einer ausgeprägten Esskultur hingegen, zum Beispiel in Frankreich und Italien, stößt die Mikrowelle nach wie vor auf starke Vorbehalte.

Während Raytheon dank der Erfindung Spencers satte Gewinne machte, ging dieser zunächst leer aus. Zwar hatte er sich die »Methode zur Behandlung von Nahrungsmitteln (das Kochen mittels elektromagnetischer Energie)« 1950 patentieren lassen. Später jedoch trat er das Patent für zwei Dollar an Raytheon ab, in deren Vorstand er später berufen wurde. Spencer starb am 8. September 1970 mit 76 Jahren.

Martin Koch, Jahrgang 1954, ist freier Autor für »nd«.

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