Ein buchonisches Wunder

Auf dem Rhönberg Geba gelang die Konversion einer Radarstation in ein Tourismuszentrum

  • Jochen Reinert
  • Lesedauer: 4 Min.
Wer auf der neuen Autobahn von Erfurt aus gen Süden rollt, erblickt jenseits des Thüringer Waldes alsbald den hohen Rücken der Geba - östlicher Vorposten einer alten, zu Tacitus' Zeiten Buchonien genannten Kulturlandschaft. Der Thüringer Dichter Walter Werner hat sie in seinem Buch »Heimkehr nach Buchonien« exzellent beschrieben und dabei auch die Wanderungen seiner Vorgänger Johann Gottfried Seume und Friedrich Hölderlin in diesen Gefilden nicht vergessen. Die jüngere Vergangenheit der mit 751 Meter höchsten Erhebung der thüringischen Vorderrhön war indes alles andere als dichterisch-beschaulich: Nach 1945 unweit der Trennlinie zwischen den beiden großen Militärblöcken gelegen, wurde der in einen drei Kilometer langen Basaltmantel gehüllte Berg zu einem Vorposten im Kalten Krieg. In der Jugendherberge »Lilo Herrmann«, Wanderziel tausender junger Leute, quartierten sich sowjetische Soldaten ein. Der legendäre Herbergsvater Kurt Abt musste mit Frau, Esel und Hund abziehen und konnte - so der Meininger Lehrer Karl Thränhardt in seinem jüngst erschienenen Büchlein »Geba. Liebeserklärung an eine Rhön-Landschaft« - nie wieder am großen Kachelofen für seine große Wanderfamilie zur Gitarre singen. Im Jahr des Mauerbaus und der Errichtung der Fünf-Kilometer-Sperrzone an der DDR-Westgrenze rückten zunächst 50 Soldaten einer funktechnischen Einheit der 8. Gardearmee der sowjetischen Streitkräfte an. Bald waren es 500 Militärs, die die größte Radarstation des Warschauer Paktes in Süd-thüringen betrieben - als Pendant zu einer nicht minder großen Horchstation der USA auf der gegenüber liegenden Wasserkuppe. Die Radaranlagen waren u. a. von einem Hubschrauberlandeplatz und einer Flakraketenstellung umgeben. Doch mit dem Zusammenbruch des östlichen Bündnisses war es auch mit der roten Radarstation vorbei. Am 21. April 1991 zogen die letzten 45 Mann ab - die Geba war wieder entmilitarisiert. Neuer Mieter wurde das Bundesvermögensamt. Doch dessen Wächter konnten nicht verhindern, dass am Himmelfahrtstag gleichen Jahres eine wilde Menge die Anlage stürmte. Um eine weitere Vandalisierung zu verhindern, nahmen die Bürgermeister mehrerer umliegender Gemeinden das Heft in die Hand und begannen die Umwandlung des ehemaligen Militärstützpunktes in ein naturnahes touristisches und landeskundliches Zentrum. Aus den Hauptgebäuden des Stützpunktes ist ein ansehnlicher, holzverkleideter Gebäudekomplex entstanden, der seine Energie teilweise aus Sonnenkollektoren bezieht. »Wir haben 1992/93 erst einmal einen Großteil der 30 vorhandenen Gebäude abgerissen«, schildert der hochgewachsene, stämmige Werner Wachenbrunner, als Bürgermeister der Gemeinde Helmershausen einer der Pioniere des beispielhaften Konversionsprojektes, bei einem Bier in der Berggaststätte. Dann ging es Schritt für Schritt mit dem Ausbau voran. »Hier, wo wir gerade sitzen, befand sich die Waffenkammer«, erzählt er lachend, »im Gaststättensaal schliefen einst die Soldaten und in den Stabsräumen informiert ein kleines Museum über die frühere Radarstation«. Dort ist auf einer Tafel zwischen einem »Prawda« lesenden Lenin, Patronentaschen und einem Samowar zu lesen, dass sich das Zusammenleben zwischen den Dörflern und den sowjetischen Soldaten »ohne größere Schwierigkeiten« gestaltete: »Die Soldaten arbeiteten bei der Agrargenossenschaft und erhielten dafür Kartoffeln und Gemüse.« Auch Wachenbrunner spricht von »guten Beziehungen zu den Russen«; ihnen wurde zum Beispiel auch geholfen, wenn sie Probleme bei der Strom- und Wasserversorgung hatten. Als Gegenleistung erhielten die DDR-Leute oft Benzin und Diesel und durften im Magazin des Stützpunktes Schokolade kaufen. Wie Karl-Heinz Dörsmann in seiner Schrift »Roter Stern über Meiningen, Geba und Dolmar« dokumentiert, gab es auch allerlei freundschaftliche Begegnungen bei Feiertagen und Sportfesten, wobei sich die Ex-FDJler bis heute heftiger Bekanntschaften mit größeren Mengen Wodka erinnern. Anfangs, so verrät Wachenbrunner, Gründungsvorsitzender des Fremdenverkehrsvereins Hohe Geba e. V., habe man ein größeres Hotelprojekt verfolgt. Das sei aber nicht genehmigt worden, da der Berg ebenso wie andere Gefilde der thüringischen, bayerischen und hessischen Rhön von der UNESCO als Biosphärenreservat deklariert wurde. Daraus machte der Verein eine Tugend, setzte am Kreuzungspunkt mehrerer Wanderwege auf sanften Tourismus. Demnächst sollen die Wanderer nicht nur in einer Blockhütte auf dem Grund der alten Jugendherberge, sondern auch in einer als »Rhönenergiehaus« errichteten Pension ihr Haupt betten können. Im Winter ist der einzige Skilift der thüringischen Rhön ein weiterer Anziehungspunkt. Und dort, wo einst die Radarschirme rotierten, breitet sich heute der dreieinhalb Hektar große Rhönkulturgarten aus, in dem nicht nur die Flora Buchoniens präsentiert wird. Ein aus 150 Tonnen Basaltbrocken geformter Steinkreis erinnert an die Frühbesiedlung der Rhön vor 2500 Jahren durch keltische Stämme - sie errichteten einst auf mehreren Rhönkuppen sogenannte Oppidas (Stadtburgen). Mehrere Holzplastiken und Installationen auf dem Gelände zeugen von kreativer Auseinandersetzung regionaler Künstler mit dem Erbe der einst auch von Seume und Hölderlin gerühmten Landschaft.
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