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Arbeitsteilung von Politik und Kultur

  • Gregor Gysi
  • Lesedauer: 7 Min.
Der Westen leuchtet - aber das Licht ist kaltBRD und DDR - zwei Kulturen werden eine? Zwei Vorträge über die Schwierigkeiten dabei auf dem Symposium der Linkspartei KULTUR NEU DENKEN in Bad Frankenhausen
I. Schwieriges Verhältnis
Der diesjährige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, der Soziologe und Historiker Wolf Lepenies, hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: »Kultur und Politik. Deutsche Geschichten« ... Wolf Lepenies folgt Norbert Elias, der in seinen »Studien über die Deutschen« 1939 bereits festgestellt hatte, dass in Deutschland das Wort Kultur »im Kern eine apolitische oder vielleicht sogar antipolitische Stoßrichtung (hatte), die symptomatisch für das wiederkehrende Gefühl deutscher Mittelklasse-Eliten, dass Politik und Staat den Bereich ihrer Unfreiheit und Demütigung, die Kultur den Bereich ihrer Freiheit und ihres Stolzes repräsentierte« ...
Vielleicht ist der Satz vom kalten Licht, das aus dem Westen strahlt, eine moderne Fassung des Satzes aus dem »Faust« vom politischen Lied als garstigem Lied. Ich plädiere leidenschaftlich dafür, doch das politische Lied zu singen oder eben, die politischen deutschen Geschichten zu erzählen.
Besonders häufig finde ich, dass sich Ostdeutsche viel auf ihre Kultur zugute halten. Identität, also der Versuch, das Resümee über einen bestimmten Abschnitt seines Lebens zu ziehen, will natürlich lieber ein gelungenes Leben finden. Und so halten wir uns eben post festum an unsere DDR-Kultur. Sie wissen schon: Das Leseland. Ich bin hierbei auf anderes als auf Ironie aus. Auf Verstehen. Dazu gehört auch das Begreifen der Rolle der Intellektuellen während der Wende 1989. Besonders während der fünf »glorieuses«, wie Lepenies die Tage vom 4. bis 9. November 1989 nennt. Die Unterzeichnerinnen des Aufrufs »Für unser Land« glaubten an die Kultur und wurden von der Politik eines besseren belehrt. Diesen Streich haben viele von uns nicht nur Helmut Kohl und Konsorten, sondern auch dem Volk bis heute nicht verziehen.
Als wir aus der SED die SED-PDS und wenig später die PDS formierten, hatten wir die Unterstützung vieler Intellektueller der DDR. Mir war aber auch klar, dass unser politischer Erfolg sehr daran hing, ob uns die linken Intellektuellen der alten Bundesrepublik kritisch und solidarisch annehmen würden. Das haben sie, zu meiner großen Enttäuschung, bis heute kaum getan. Ich habe früher schon vom Versagen vieler linker Intellektueller bei der deutschen Vereinigung, beim Jugoslawien-Krieg und folgenden Kriegen gesprochen. Ich finde auch heute, wenn der neoliberale Siegeszug des Zeitgeistes langsam zu Ende geht, dass sich linke Intellektuelle vielfach nicht sehr streitbar gezeigt haben. Der Neoliberalismus wird weniger geistig-kulturell besiegt, sondern weil er an seine Grenzen stößt und also historisch erschöpft die Bühne verlässt. Und wir, die wir die neue Linke bilden, wir werden irgendwie auch ein Resultat der abnehmenden Strahlkraft des Neoliberalismus sein. Allein schon deshalb müssen wir Teil einer neuen politischen und kulturellen Konstellation sein, die sich mit der Frage befasst: Was kommt danach?

II. Ostdeutsche Seele
Es ist ja unbestritten, dass es in Deutschland neben Unten und Oben, Arm und Reich noch immer zwei Teilgesellschaften Ost und West gibt, die sich nach wirtschaftlicher und sozialer Lage, nach Wahlverhalten usw. unterscheiden. Dieser Vorgang wurde begünstigt, weil es keine Vereinigung der Eliten gab, auch nicht im Bereich der Kunst und Kultur. Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller der DDR wurden vom Feuilleton der FAZ als kritische deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller geführt, z.B. Christa Wolf, Stefan Heym, Heiner Müller, Volker Braun und andere. Im Herbst 1989 wurden sie im selben Feuilleton wieder zu DDR-Schriftstellerinnen und DDR-Schriftstellern, was aus Sicht des Feuilletons der FAZ eine Degradierung darstellen sollte ...
Mir geht es um die sogenannte ostdeutschen Identität, deren Existenz vielfach bestritten wird. Es mag richtig sein, dass es auch andere regionale Verwandtschaften, etwa unter Norddeutschen gibt. Dennoch gibt es so etwas wie ein temporär immer wieder aktivierbares kollektives Bewusstsein, das an gemeinsame Geschichte und Herkunft erinnert, auch um ein heute geteiltes Schicksal zu verarbeiten. Ich denke, diese kulturelle Identität, ich sage gelegentlich auch mal etwas unscharf ostdeutsche Seele, dürfen wir nicht ignorieren. Meine Antwort darauf ist: keineswegs sozialpädagogisch oder therapeutisch oder museal verständnisvoll. Die ostdeutsche Seele ist nicht das Problem. Sondern wie wir mit den Leuten hier umgehen ... Wenn man planerisch, technisch, mit dem Blick aus der Verwaltung, also einer Zuständigkeit an einzelne Probleme in Thüringen oder in einer Region wie der Oberlausitz herangeht, dann verschwinden alle mentalen Probleme. Das liegt wohl an diesem Vokabular, unpersönlich, technisch, auf Wissen basierend und nicht auf lebendiger Erfahrung, darauf aus, Recht zu haben. Anders sind wohl gewisse Dinge nicht zu kommunizieren. Will man aber lebendige Erfahrung aufnehmen, Menschen einbeziehen, ermutigen, das fortzuführen, was sie begonnen haben, dann braucht es mehr als das ...

III. Unser Gemeinwesen
Das Bild unsres Landes wird erst sichtbar, wenn wir den Zusammenhang von Umständen, Sitten und Gesetzen verstehen. Die Dinge hängen eben miteinander zusammen. Sie verweisen aufeinander über alle Kausalitäten und Konditionalitäten hinaus. Lassen Sie mich das an zwei Beispielen, am Problem der Sicherheit des Landes und am Gegensatz von Arm und Reich, erklären.
Der erste Umstand betrifft die äußere Sicherheit des Landes. Deutschland ist umgeben von Ländern, deren Regierungen und deren Völker uns freundlich gesonnen sind. Das sollte gelten, gerade wenn wir uns erinnern, dass dies, setzen wir die deutsche Geschichte mit einer Stunde an, 59 Minuten doch nicht so war. Dennoch hören wir, leben wir, umgeben von Freunden, in einer Welt voll von Feinden. Die stecken in den Bergen des Hindukusch, sie sind mit Schiffen und Booten unterwegs nach Spanien oder schaffen gerade Waffen von A nach B. Es wüten Kriege auf mehreren Kontinenten, es gibt den weltweiten Terror. Es gibt das alles aber nicht zuhause, bei uns in Deutschland. Aber Deutsche sind dort, wo die Gewalt regiert und das Leben der Menschen, teilweise seit Jahrzehnten, bestimmt.
Wir haben die Bilder deutscher Soldaten mit dem Totenschädel gesehen. Ich bin ohne jede Einschränkung für die strafrechtliche Verfolgung dieser Taten. Aber damit ist es nicht genug. Mich erschreckt die Hast, das Eilige in den Kommentaren und die psychologischen Erklärungsversuche der Medien ... Wie wehrt sich unsere Kultur, wie wehren wir uns gegen diesen subtilen Einbruch, diese unbemerkte massenhafte Rückkehr der Gewalt und des Kriegerischen in unser Gemeinwesen?
Der zweite Umstand ist der Gegensatz von Arm und Reich in unserm Gemeinwesen. Wilhelm Hennis, dem großen alten Politikwissenschaftler, verdanken wir den kappen Ausdruck: »Der Gegensatz von Arm und Reich ist seit eh und je der wichtigste, den politische Ordnungen zu berücksichtigen haben.« In der Tat hat das Grundgesetz mit den Formulierungen über das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse dieser Tatsache früh, lange vor 1989, Rechnung getragen. Und auch im Einigungsvertrag und der folgenden Gesetzgebung, Solidarpakte I und II, hat das entsprechende Gestalt angenommen. Wir könnten heute hier im Osten ohne die Transfers nicht leben. Es ist gut und richtig, dass es diese Zahlungen, diese gesetzliche Solidarität gibt. Es ist aber zugleich die Feststellung richtig, dass der strukturelle Gegensatz von Arm und Reich, armen und reichen Ländern, auch 16 Jahre nach dem Beitritt der DDR weiterbesteht ...

IV. Ex oriente lux?
Vielleicht ist es so, wie es im Titel der Veranstaltung ausgedrückt ist. Vielleicht leuchtet der Westen. Das aber, so will ich zusammenfassen, wäre nicht unser Problem im Osten. Hier geht es darum, auf Entdeckungsreise zu gehen und auf die Lichter zu achten, die bereits mehrfach leuchten ... Wenn gegen alle Skeptiker im Osten doch wieder Industrie entsteht, dann vielleicht tatsächlich ein Wirtschaftszweig regenerativer Energien, dann tatsächlich mit regionalen Wirtschafts- und Energiekreisläufen. Und wenn, dann bräuchte es dazu eine neue Verteilung der Arbeit als die, dass die einen dauerhaft Arbeit haben und die andern nicht, und dazwischen prekäre Verhältnisse herrschen.
Und wenn das was werden soll, dann vielleicht doch nur mit einer neuen Arbeitsteilung zwischen Politik und den andern Akteuren vor Ort ... Es ist allemal besser in solchen historischen Situationen, die eigenen Grenzen erst einmal zu erfahren als sich selbstgenügsam solche Grenzen zu setzen.
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