Vom Rücktritt zur WHO

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Chinas Staatspräsident Hu Jintao hatte beim jüngsten Afrika-Gipfel in Peking, an dem 48 afrikanische Länder teilnahmen, unmissverständlich auf die Bewerbung der Hongkonger Vogelgrippe-Expertin Margaret Chan für den Chef-Posten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hingewiesen. Er gab seiner bescheidenen Hoffnung Ausdruck, dass die afrikanischen Länder sie unterstützen würden. Das hat wohl geklappt. Vor der Wahl wurden vor allem Chans Erfahrungen als Leiterin der Gesundheitsbehörde von Hongkong während des Vogelgrippe-Ausbruchs 1997 und der Epidemie der tödlichen Lungenkrankheit SARS im Jahre 2003 gelobt. Doch wie werden diese Erfahrungen in ihrer Heimat bewertet? »Mingbao«, eine der größten Hongkonger Zeitungen, schreibt, damals seien wegen Chans Versäumnissen und Unentschlossenheit rund 300 Menschen an SARS gestorben. Ihr Sieg sei eine Schande für die WHO. »Woher will sie die Kompetenz nehmen, die großen internationalen Gesundheitsfragen zu behandeln? Sie hat viel zu lange gezögert, das Ausmaß der Verbreitung von SARS in Hongkong genau zu untersuchen und effektive Maßnahme einzuleiten; dadurch wurden noch mehr Menschen angesteckt.« Auf Spruchbändern von Demonstranten war damals zu lesen: »Margaret Chan hat kein Gewissen«. Chan soll seinerzeit getreulich Peking gefolgt sein und das Ausmaß der Verbreitung von SARS vertuschte. Erst durch den Auftritt des Arztes Jiang Yanyong erfuhr die Welt die Wahrheit. Die Viren verbreiteten sich über Hongkong in die ganze Welt und forderten insgesamt 800 Menschenleben. Wegen der heftigen öffentlichen Kritik trat Chan dann im August 2003 von ihrem Amt zurück. 2004 verabschiedete das Hongkonger Parlament einstimmig eine Resolution: Chan habe in der Sache zu langsam reagiert und den rechten Zeitpunkt zur Bekämpfung der Seuche versäumt. Der Gesundheitsminister Chinas sieht das allerdings anders: Sie habe bei der Bekämpfung von SARS in Hongkong »Rücksicht auf die Interessen der Gesamtheit« genommen. Er bestätigte auf einer internationalen Konferenz für Gesundheit in Macao die besondere Kompetenz der Hongkonger Virus-Expertin als Kandidatin für die WHO. 1997 nach dem Bekanntwerden des ersten Falls der neuen Vogelgrippe sagte sie den Hongkongern noch, dass sie weiterhin ohne Bedenken Hühnerfleisch essen könnten. Kurz darauf brach die Vogelgrippe in Hongkong massiv aus. Damals gab es 18 erkrankte Menschen, 5 starben. Chan fasste dann einen, wie ich meine, mutigen Entschluss: 1,4 Millionen Hühner, Enten und Gänse wurden innerhalb weniger Tage getötet, um eine weitere Verbreitung zu verhindern. Und was bewog jetzt die WHO zu ihrer Wahl? Durch Chan an der Spitze erhofft sie, dass Peking in Zukunft das Auftreten von Seuchen unverzüglich meldet und notwendige Informationen rechtzeitig zur Verfügung stellt. Noch kurz vor der Wahl von Chan hatte das chinesische Ministerium für Landwirtschaft seit 2004 kein einzige Probe von Vogelgrippe-Viren geliefert. Nun, nach der Wahl, bestätigten WHO-Vertreter: 20 Viren-Proben seien in eines der Labore der WHO in die USA verschickt worden. Dieser Wandel kommt urplötzlich. Ist er verlässlich? Meine chinesischen Freunde beruhigen mich: »China wird der Welt mit der Olympiade 2008 ein Super-Schauspiel liefern. Nichts soll das stören. Das Vogel...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.