Die Menschen, die dort liegen ...

Ein neues Buch über die sowjetischen Ehrenmale in Berlin

  • Horst Schützler
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Werden sich an diesem Totensonntag auch Bürger zu stillem Gedenken in den Ehrenhainen für sowjetische Gefallene im Zweiten Weltkrieg einfinden? Oder sind sie vergessen?

Sachkundig erläutert die Historikerin Dr. Helga Köpstein am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow Besuchern die Geschichte dieser Gedenkstätte. Sie hat selbst viel recherchiert und kann sich auch auf die langjährigen Nachforschungen ihres 1981 verstorbenen Ehemannes Dr. Horst Köpstein und seiner Arbeitsgemeinschaft »Junge Historiker« stützen. Jetzt hat sie all ihr Wissen in einer eindrucksvollen Dokumentation zusammengefasst.
Die Autorin konzentriert sich auf die Baugeschichte der drei großen Anlagen in Berlin: im Tiergarten, im Treptower Park und in der Schönholzer Heide in Pankow. Berichte sowjetischer und deutscher Akteure sowie aufschlussreiche Archivdokumente zeugen vom Willen der sowjetischen Führung, in der deutschen Hauptstadt ein dauerhaftes Zeichen des Sieges über den deutschen Faschismus zu setzen und zugleich den Tausenden sowjetischen Gefallenen der Schlacht um Berlin eine würdige Ruhestätte zu schaffen.
Das Ehrenmal im Tiergarten wurde schon am 11. November 1945 eingeweiht. Hier sind ca. 2500 sowjetische Soldaten und Offiziere bestattet. An den Ehrenmalen im Treptower Park und in der Schönholzer Heide wurde mehrere Jahre gebaut; sie wurden am 8. Mai bzw. 7. November 1949 eingeweiht. Hier fanden etwa 5000 bzw. mehr als 13 200 Rotarmisten aller Ränge ihre letzte Ruhe.
Helga Köpstein gibt Einblick in das Baugeschehen, die »Nutzung« dieser Gedenk- und Ruhestätten sowie deren Pflege und Sanierung. Sie bringt dabei manches Vergessene in Erinnerung und entdeckt unbekannt Gebliebenes (auch Kurioses). Beim Ehrenmal im Tiergarten waren die Nähe zu den einstigen Machtzentren des »Dritten Reiches«, Reichstag und Reichskanzlei, zu den letzten Kampfstätten des Krieges sowie die zentrale Lage ausschlaggebend. Bei seiner Einweihung konnte man noch hohe militärische Repräsentanten der Westalliierten erblicken; in Treptow und Schönholz fehlten sie.
Ende August 1945 hatte eine sowjetische Militäreinheit das im britischen Sektor gelegene Gebäude der Hochschule für Bildende Künste am Steinplatz »besetzt«; die Briten nahmen dies hin. Angestrengt wurde hier zunächst für das Ehrenmal in Tiergarten gearbeitet. Dessen Schöpfer, die Bildhauer Lew Kerbel und Wladimir Zigal sowie der Architekt Nikolai Sergijewski, wurden entsprechend einem Shukow-Befehl vom 17. November 1945 jeweils mit einem Motorrad ausgezeichnet. Für die Gestaltung des Treptower und Schönholzer Ehrenmals war ein Wettbewerb ausgeschrieben worden. Der Bildhauer Jewgeni Wutschetitsch und der Architekt Jakow Belopolsk erhielten für ihren Entwurf des Treptower Ehrenmals 12 000 bzw. 8000 Mark. Das Autorenkollektiv des Schönholzer Ehrenmals - M. D. Belawenzew, K. A. Solowjow, W. D. Koroljow - bekam 20 000 Mark. Mit der Ausführung der Bauarbeiten waren deutsche Baufirmen, die Westberliner Bildgießerei Noack, die Firma Wagner (Mosaik- und Glasarbeiten) sowie die Baumschule Späth in Ostberlin beauftragt. Helga Köpstein blendet auch deren Betriebsgeschichten ein. Auf der Treptower Baustelle wurden bis zu 1200 Arbeiter beschäftigt. Im Gefolge der Währungsreform und der Blockade Westberlins 1948/49 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Westberliner Betrieben und der sowjetischen Bauverwaltung, sogar zur zeitweiligen Arbeitseinstellung Ende April 1949 durch die Firma Wagner in Treptow. Es gelang dann aber, Kompromisse zu finden. Anfangs waren bei den Bauarbeiten, insbesondere bei der Umbettung Tausender Sowjetsoldaten, auch ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die auf ihre Rückführung in die Heimat warteten, beteiligt.
Die Autorin räumt mit Legenden auf, so jener, dass die von Wutschetitsch entworfene Hauptfigur des Treptower Ehrenmals »Soldat mit Kind« (in einem Leningrader Betrieb gegossen) eine individuelle Heldentat würdige: die Rettung eines deutschen Kindes durch einen Rotarmisten. Der Bildhauer selbst erklärte: »Wir suchten nach einem einfachen, jedem verständlichen Gleichnis. Im Mittelpunkt der Darstellung sollte der Frontsoldat stehen, ein Mensch in Uniform, der nur deshalb die Waffe führte, weil er die Heimat verteidigte ... Das Kind auf dem Arm des Soldaten hat den verheerenden Krieg überlebt; der Kämpfer, der die Menschheit von der braunen Pest befreite, trägt es dem Frieden, einer neuen Welt entgegen«. Auch die bis heute immer wieder rezipierte Auffassung, der in den Ehrenmalen reichlich verarbeitete Marmor und Granit entstamme der Reichskanzlei, ist Legende. Das Material kam überwiegend aus einem Steinlager bei Fürstenberg an der Oder, das die Nazis für die geplante Neugestaltung des Zentrums der »Reichshauptstadt« angelegt hatten.
Das einfühlsame Buch von Helga Köpstein mahnt, die drei Ehrenmale als Gedenkstätten und als Friedhöfe zu achten. »Die Menschen, die dort liegen, wollten nicht in Deutschland sterben«, beonte der ehemalige Kulturminister Michael Naumann.

Helga Köpstein: Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin. Verlag R.O.S....

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