In Pulsnitz ist immer Weihnachten

Überall ist der Pfefferkuchen präsent, wer will, kann selbst welchen backen

  • André Micklitza
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Micha Voigt gibt sich traditionsbewusst. Stolz zeigt der Hotelier und Gastwirt des Pulsnitzer Ratskellers sein Haus mit schönem Pfeilergiebel und Sitznischenportal. Probieren sollte man den exzellenten Sauerbraten, der nur hier mit Pfefferkuchensauce serviert wird.
Nur ein paar Ecken weiter, in Kirstens Konditorei, wird alljährlich von Ende September bis zum Frühjahr eine Pfefferkuchentorte gebacken. Und im nahen Gasthof Schützenhaus kommt Pfefferkuchenstollen aus dem Ofen. Erfinder René Schulz hat sich seine Kreation patentieren lassen, damit kein anderer die Lorbeeren einheimst.
Sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr, in Pulsnitz dreht sich fast alles um das leckere Weihnachtsgebäck. Seit 1558 ist die Pfefferküchlerei beurkundet. 1743 kam der Bäcker und Küchlergeselle Gottfried Tobias Thomas aus Thorn (heute Toru/Polen) nach Pulsnitz. Im Gepäck hatte er viele neue Rezepte.
Der Name des schmackhaften Gebäcks ist allerdings fälschlicherweise entstanden, denn es enthält kein einziges Gramm Pfeffer. Aber die Leute kannten damals viele fremdländische Gewürze nicht und bezeichneten sie kurzerhand alle als Pfeffer.
In den Pfefferküchlereien duftet es nach Anis, Fenchel, Koriander, Kardamom, Macisblüte, Mandelöl, Muskatnuss, Nelken, Zimt. Daran hat sich hier seit über 400 Jahren kaum etwas geändert. Der Opa hat die geheimen Rezepturen vom Urgroßvater und der Sohn vom Vater.
Seit nunmehr fast 170 Jahren, in fünfter Generation, kommt aus der Pfefferküchlerei E. C. Groschky im Rietschelhaus nur beste Ware: Pfefferkuchen, gefüllte Schokoladenspitzen, Mandellebkuchen, gefüllte Spitzkuchen mit Kakaofettglasur, Pulsnitzer Pflastersteine oder Haselnusspfefferkuchen. Rund zwanzig verschiedene Produkte werden angeboten. Verkauft wird im eigenen Laden, auf Märkten und über das Internet.
Meister Günter Holling fährt mit seinem rollenden Pfefferkuchenstand auf viele Lausitzer Marktplätze und steht dann selbst hinter der Theke. »Jeder Pulsnitzer Küchler hat seine eigene Rezeptur, daher schmecken sie alle etwas unterschiedlich«.
Hohe Reinheit in Qualität, Geschmack und Form bleiben das oberste Gebot. Während überall die Pfefferküchler in Deutschland aufgaben oder zu großen Backfabriken wuchsen, wie beispielsweise in Nürnberg, blieben die Pulsnitzer bescheiden und retteten ihr seltenes Handwerk über alle Zeiten.
Nach dem Mauerfall fuhr mancher Meister gleich nach Nürnberg, um zu schauen, wie es bei der Konkurrenz zugeht. »Keine ernsthafte Gefahr« war der einmütige Tenor nach dem Besichtigen. Im Unterschied zu den Nürnberger Produkten, die aus Fertigteig mit reichlich künstlichen Triebmitteln und am Fließband entstehen, wird der Pulsnitzer Teig in Handarbeit hergestellt, dann bis zu sechs Wochen in Holzfässern gelagert, bevor er verbacken wird.
Gefahr für das Fortbestehen der traditionellen Herstellungsweise lauerte hingegen nach der Wende in westdeutschen Amtsstuben, denn als Vollhandwerk ist das Pulsnitzer Pfefferkuchenbacken in Deutschland einmalig. Nach 1989 dauerte es neun Jahre, bis die gesamtdeutsche Handwerksordnung dies anerkannte. Ein Bundestagsbeschluss bestätigte schließlich die Rechte der Pulsnitzer Pfefferküchlermeister. Von den einstmals 50 Pfefferküchlereien produzieren heute noch neun, acht kleine Handwerksbetriebe und eine mittelgroße Fabrik.
Doch der Blick in die Backstuben der Meister bleibt den Besuchern meistens verwehrt. Seit 1999 kann man in einer Schauwerkstatt neben dem Rathaus ganzjährig einen Eindruck davon gewinnen, wie es in einer Pulsnitzer Pfefferküchlerei um 1900 ausgesehen haben könnte. »Hier können Sie selbst Pfefferkuchen backen und verzieren, wenn Sie sich vorher anmelden«, empfiehlt Siegmar Schubert im Pulsnitzer Haus des Gastes. »Jeder sollte eine gute Stunde Zeit mitbringen, er erhält 200 Gramm Lagerteig, den das Museum direkt von den Pfefferküchlern bezieht. Wir zeigen alle Schritte der Verarbeitung vom Ausrollen des Teigs, über das Ausstechen bis hin zum Dekorieren. Jeder kann sich dann seinen eigenen Pfefferkuchen mit nach Hause nehmen«.
Pulsnitz-Information im Haus des Gastes mit Pfefferkuchenschauwerkstatt, Mo-Fr 10-17, Sa 9-12, So 14-17 Uhr, Schaubackstube nach Anmeldung.. Am Markt 3,Tel. (035955) 442 46, E-Ma...

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