»Westliches Miststück«

»Das Produkt« von Mark Ravenhill an Berlins Schaubühne

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn eine Regie sich »Einrichtung« nennt, darf man vorsichtig sein. Das klingt fast wie Arbeitsstopp kurz hinter der szenischen Lesung. Thomas Ostermeier hat an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz Mark Ravenhills Kurz-Stück »Das Produkt« inszeniert, nein: eingerichtet. Das heißt: Er vermied alle reagietheatralische Zurichtung, alle kabarettistische Hinrichtung. Die böte sich an, denn des Briten Story - er schrieb das grandios grausame »Shoppen & Ficken«, das Ostermeier grausam grandios inszenierte - ist satirisch, ist hanebüchen Kolportage.
In der Schaubühne steht vor gleißender weißer Glaswand ein Tisch mit zwei Barhockern. Ein Produzent erzählt einer Schauspielerin die Story eines Films, für den er die junge Blonde unbedingt gewinnen will. »Gucci und Versace sind auch im Boot.« Ein Monolog. Etwa sechzig Minuten lang. Von der Londonerin, die ihren Freund am 11. September 2001 in den Türmen von New York verlor. Und die nun von Liebe ausgerechnet zu einem Mohammed überfallen wird. Die zur Dshihad-Kämpferin mutiert, die nicht durchhält («du westliches Miststück«), die ihren Verrat wiedergutmachen will, indem sie Mohammed aus Guantanamo befreit. Im Film kommen Messer, Gebetsteppich, Osama bin Laden und viel Sex vor. Vor allem im Swimmingpool, der dem brennenden Mohammed als Löschteich dient. Hollywood: die Verkehrung des Bösen ins Unglück seiner Verfilmung als erfolgreichster Industriezweig der Verwahrlosung.
Einrichten. Das heißt: Ostermeier dimmt. Er verzichtet gleichsam aufs mögliche grelle Theater. Das macht den kurzen Abend etwas gemächlich, weil man rasch alles durchschaut hat. Jörg Hartmann spielt den Filmproduzenten mit der verzweifelten Ernsthaftigkeit eines Verkäufers, dessen impulsive Werbekraft doch nur die eigene Gehetztheit verbirgt. Dass der Schauspieler im Laufe des Abends sichtlich ins Schwitzen gerät, deutet handwerkliche Verausgabung an - es arbeitet aber just jener Wirkung zu, die vom Elend des modernen verkäuferischen Selbstbewusstseins erzählt: Denn sind alle, die uns in fiebriger Vorwärtspose das Marktwirtschaften als Abenteuer, als tolles Experiment, als wunderbare Arbeit suggerieren wollen, im Grunde nicht selber äußerst Geplagte? Haben die, welche sich bereitwillig in den Karrierismus-Kanon stürzen und sich von Quoten aller Art abhängig machen, im Grunde nicht auch erbärmliche Angst? Aussortiert zu werden?
Gewollte Härte, die im Filmgeschäft als finanzielle Erfolgsneurose auftritt - sie fängt die Not ab, nicht weich, also ehrlich sein zu dürfen, in dieser Zeit kapitalistischer Entfesselungen und Einkreisungen durch Leistungsdruck und Konkurrenzangst. Früher pfiff man im Wald, heute ruft man laut: Freiheit! Spaß! Action!
Dieser Produzent, der in einer Filmstory alle Ethik verhackstückt, und dies aufgedreht im Namen höchster Herzensgüte, verkörpert jenen Energiestress der Übermüdeten, der sich Lust nennen muss. Dabei verflüchtigt sich - dies ist die Erfahrung des zynischen Gefühlskinos - die Barmherzigkeit zuerst. Hartmanns Film-Mann, der beim Erzählen die Musik mit intoniert, Zooms und Schwenks und Schnitte mit Geräuschrasanz simuliert - er sieht wohl in den Zügen der schweigenden, skeptischen, ironisch lächelnden Schauspielerin einen Spiegel, der ihm das eigene Gesicht zurückwirft, und mit jedem Blick in dieses andere Gesicht wird ihm die eigene Verlorenheit bewusster. Erfolgsorientierte Selbstsucht, die arg ins Flattern kommt. Hartmann wird teigig bleiche Blässe: Die Selbst-Sicherheit der Moderne-Producer hat keine wirklich mobilisierende Ausstrahlung, einzig das Weiß der eigenen Versagensangst in den Augen strahlt - so dass diejenigen, die nicht an solcher Winner-Welt teilhaben wollen, sich trotz ihres Mangels an Erfolgen auf seltsame Weise selbstbestimmter vorkommen dürfen. Simone Kabst, nur Zuhörerin auf dem Barhocker, vor sich Latte Macchiato und Mineralwasser, spielt genau diese Abscheu vor der Hollywood-Mischmaschine, und ihr Spiel ist im Grunde ein selten gewordenes natürliches Verhalten.
Ein marginaler Abend, ja. Und doch von einer entsetzlichen Wahrhaftigkeit - über die wir spötteln, leider als Inbegriffene: Wir werden Zeugen von Katastrophen wie dem 11. September nie mehr nur als Erschreckende. Die Sucht nach dem Ereignis, die in jedem wie ein Virus lauert, setzt ein heimliches Frohlocken darüber frei, dass aus allem Unterhaltung gemacht werden kann. Um unser Gewissen zu beruhigen, nennen wir das Ganze Information - und verlassen doch nie das Kino, dessen Programm immer böser wird.

Nächste Vorstellung am 26. 11.
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal