Blairs Kabinett will neue Atomwaffen

Der »Dreizack« bleibt in der britischen Faust

  • Ian King, London
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Tony Blair verspricht Volk und Partei eine »offene Diskussion« über die Zukunft der vier mit insgesamt 192 Trident-Atomsprengköpfen bestückten britischen Vanguard-U-Boote. Anfang 2007 soll das Parlament über Modernisierung, Neubau oder Abschaffung der »Abschreckungswaffen« entscheiden.

Britannien legte sich Anfang der 50er Jahre eigene Atomwaffen zu - teils aus Angst vor angeblich geplanten sowjetischen Angriffen, teils aus nationalem Geltungsdrang in Zeiten der Entkolonisierung und des wirtschaftlichen Niedergangs. Atomwaffen und ständiger Sitz im UNO-Sicherheitsrat vermittelten das beruhigende Gefühl: Wir sind noch immer wer! Die Mehrheit der Briten unterstützt noch heute die immer wieder modernisierten Atomwaffen, obwohl die seit 1960 nur mit Sprengköpfen aus den USA funktionieren - also keineswegs »unabhängig« sind, sondern London an jedes USA-Abenteuer ketten. Argumente gegen Erneuerung oder Neubau liegen klar zu Tage. Erstens verstößt das Vorhaben gegen das Völkerrecht, genauer gesagt gegen Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags. Der verpflichtet Nicht-Nuklearstaaten dazu, keine Atomwaffen zu bauen - aber auch Bombenbesitzer wie Britannien oder die USA zur atomaren Abrüstung. (Ein Aspekt, den diese gegenüber etwaigen Atomplänen Irans oder Nordkoreas verschweigen.) Ferner ist nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht klar, welcher Gegner durch die Atom-U-Boote abgeschreckt werden soll. Gegen terroristische Selbstmordattentäter mit Teppichmessern in Passagierflugzeugen oder selbst gebauten Bomben in der Londoner U-Bahn haben Atomwaffen nicht geholfen. Sollen britische »nukes« zur Einschüchterung kleinerer Staaten oder gar im Krieg gegen diese eingesetzt werden, wie Kate Hudson, Vorsitzende der Kampagne für nukleare Abrüstung (CND), behauptet? Das verneint das Kabinett natürlich; aber inwieweit kann man dem nach den Irak-Lügen trauen? Dazu kommen die Kosten. Ein Regierungssprecher gibt zu, die billigste Variante der Erneuerung, die den Weiterbetrieb der U-Boote über 2020 hinaus garantieren könnte, würde umgerechnet 37 Milliarden Euro kosten. Dafür könnte New Labour, 1997 mit dem Slogan »Bildung! Bildung! Bildung!« an die Macht gekommen, tausend neue Schulen bauen. Im linksliberalen »Guardian« rechnet man aber mit einem dreimal höheren Betrag und dürfte damit den wahren Kosten näher sein. Trotzdem zweifeln nur wenige daran, dass die britischen Atomwaffen auch 2050 einsatzbereit sein werden. Völkerrechts- und Kostenfragen werden von den Regierenden nach Kräften unter den Teppich gekehrt. Kate Hudson und CND werden zwar tapfer dagegen trommeln; eine Minderheit von unbotmäßigen Labour-Hinterbänklern folgt ihnen bei der 2007 fälligen Unterhausabstimmung. Aber nicht nur der diskreditierte Blair, sondern auch sein persönlich integrer, aber allzu rechter Möchtegern-Nachfolger, Finanzminister Gordon Brown, sprechen sich für die Beibehaltung der Atomwaffen aus. »Denn wer weiß, welche Gefahren 2015 drohen?«, fragte am Donnerstag Verteidigungsminister Desmond Browne. In Rüstungsfragen ist auch auf die konservative Opposition Verlass: Mag sich der junge »Dave« Cameron noch so unkonventionell geben, für Britanniens Macht und Geltung werden die Tories immer einstehen. Hier geht's nicht um die Stärke der Argumente, sondern um Glaubensfragen. Oder wie es seit 300 Jahren in der Alternativ-Nationalhymne »Rule, Britannia!« heißt: Herrsche, Britannia! Beherrsche die Wellen! Nie und nimmer werden Briten Sklaven sein!« Mögen andere Länder auf Atomwaffen getrost verzichten: Der ...

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