Hessische Verfassung wird 60

Verschiedene Akzente zum Jubiläum / Kritik an Sperrung Wiesbadener Innenstadt

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Hessen begeht nächste Woche den 60. Geburtstag seiner Landesverfassung. Doch die Akzente beim Jubiläum könnten kaum unterschiedlicher sein.

Linkspartei, WASG und andere Linke wollen an diesem Wochenende in Frankfurt (Main) die Aktualität fortschrittlicher, linker Verfassungsartikel in den Mittelpunkt eines Kongresses rücken. Das »offizielle« Hessen unter Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hingegen feiert den Jahrestag Ende nächster Woche in Wiesbaden mit einem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr und einem Festgottesdienst mit 1100 geladenen Gästen. Ärger und Unmut hat in der Landeshauptstadt die Tatsache ausgelöst, dass das Volk bei diesen offiziellen Veranstaltungen weitgehend ausgesperrt sein wird und Heerscharen von Polizisten weite Teile der Wiesbadener Innenstadt abriegeln sollen. Selbst der örtliche Einzelhandel kritisiert Zeitpunkt und Ort der Veranstaltung und befürchtet Umsatzeinbußen im vorweihnachtlichen Geschäft. »Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig«, heißt es in Artikel 69 der Landesverfassung. Örtliche Friedensaktivisten beanstanden, dass Koch und sein Weggefährte, Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, ausgerechnet mit dem höchsten militärischen Zeremoniell das Jubiläum begehen wollen. Koch hatte bis zuletzt die Kriegsführung der USA in Irak unterstützt und auch dann noch um Verständnis für die US-Regierung geworben, als Enthüllungen über Folterungen die Welt aufhorchen ließen. Hessische Linke und Gewerkschafter kritisieren zudem, dass die Regierung Koch mit ihrer Tagespolitik permanent die eigene Landesverfassung breche. So hat der Landtag jüngst die Einführung von Studiengebühren beschlossen. »In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich«, besagt hingegen Artikel 59. Gegen diesen Widerspruch wollen auch Studierende am Rande des Großen Zapfenstreichs in Wiesbaden protestieren. Mit ihren weitgehenden Aussagen zum Recht auf Arbeit, Aussperrungsverbot, zur Mitbestimmung von Arbeitnehmern und Gewerkschaften und zur Sozialisierung von Grundstoffindustrien wie auch Enteignung bei erwiesenem Missbrauch wirtschaftlicher Macht war und ist die hessische Verfassung der CDU-Regierung ein Dorn im Auge. Koch wollte rechtzeitig zum Jahrestag solche fortschrittlichen Bestandteile streichen. Doch der Versuch, im Konsens aller Landtagsparteien die Verfassung umzuschreiben und diese dann dem Volk zur Abstimmung vorzulegen, scheiterte 2004 am Einspruch von SPD und DGB. Diese wollten zwar nicht explizit die in Artikel 41 vorgesehene Sozialisierung verteidigen, konnten aber die Streichung anderer Artikel nicht mittragen. Das Risiko einer Volksabstimmung in Konfrontation mit SPD und DGB erschien Koch und der CDU dann doch so unkalkulierbar, dass s...

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