nd-aktuell.de / 07.05.2016 / Kommentare / Seite 17

Gedankengene

Über die Evolution der Gedanken bis hin zur Kätzchenbilderepidemie

Meme, kleinste Bewusstseinsinhalte wie Gedanken und Informationen, pflanzen sich aus eigenem Antrieb so ähnlich wie Viren fort. Damit kann man Vogeldialekte erklären, aber auch Kätzchenbilderepidemie?

Eine gute und eine schlechte Nachricht: Selbst wenn Sie aus irgendeinem Grund nicht dazu gekommen sind, Ihre Gene in der Weltgeschichte zu verbreiten und dies auch nicht planen, können Sie dennoch ganz Essenzielles hinterlassen, zum Beispiel in Form von Gedanken. Das ist die gute Nachricht. Der Einfluss darauf, um welche Gedanken es sich handelt - und das ist die schlechte Nachricht - ist jedoch weitaus geringer als gedacht. Denn bei der Vorstellung, dass wir uns eigenständig etwas überlegen und dann verbreiten, handelt es sich um eine Illusion. Zumindest meint das Richard Dawkins, der Erfinder der Memetik.

In Anlehnung an seine Vorstellung von Genetik haben nicht nur Gene, diese Fitzelchen, die in der Erbmasse für bestimmte körperliche Ausprägungen sorgen, ein Eigenleben mit der Bestrebung, sich zu verbreiten. Auch Meme, kleinste Bewusstseinsinhalte wie Gedanken und Informationen, pflanzen sich aus eigenem Antrieb so ähnlich wie Viren fort. Erklärt wird damit etwa die Evolution von Vogeldialekten.

Im Computerzeitalter, in dem unzählige Viren unterwegs sind, die mit Grippe nichts am Hut haben, ist der Gedanke durchaus einleuchtend. Wer jetzt einwenden mag, dass davon aber keine Menschen befallen werden, soll bitteschön sagen, wie diese Kätzchenbilderepidemien sonst zu erklären sind. Oder die rasante Ausbreitung tiefster Trauer über den Tod eines Künstlers, von dem man 20 Jahre lang kein Lied mehr gehört hatte. Von irgendwelchem Unsinn zu Kondensstreifen am Himmel ganz zu schweigen.

Endlich hat sich die Frage mit dem Huhn und dem Ei erledigt, weil das Huhn als Wirt der Gene nur eine untergeordnete Rolle spielt und somit vernachlässigt werden kann. Aber auch »Wer hat’s erfunden?« ist schlichtweg die falsche Frage. »Wer kriegt’s als nächstes?« kommt der Sache schon näher. Sie können sich glücklich schätzen, wenn Sie zu jenen gehören, bei denen zum Beispiel die Gedanken, die einst Marx als Gastgeber auserkoren hatten, nun Unterschlupf finden. Und sollten Sie sich resistent fühlen gegenüber den Parolen der zahlreichen Deutschlandfahnen schwenkenden Hilfsnazis, dann hegen und pflegen Sie diesen Anti-Virus wie Ihren Augapfel! Welche anderen Möglichkeiten es gibt zu verhindern, dass bestimmte hässliche Gedankengäste ungefragt ins Oberstübchen poltern, scheint noch nicht endgültig geklärt zu sein.

Deswegen betätigen wir uns einstweilen unsererseits als Virenschleuder und verbreiten etwa die saisonal zentrale Information, von der bereits unser Autor befallen ist: welcher Wein am besten zum Spargel passt. Sollte dieser Infekt nicht maßgeblich zur kulturellen Evolution der Menschheit beitragen, ist die Memetik noch einmal grundsätzlich zu überdenken. rst