Im Hamsterrad

Michael Kumpfmüller: Erziehung des Mannes

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Ende rundet sich vielleicht die Geschichte doch, wenn der Ich-Erzähler, inzwischen immerhin schon Mitte 60 und altersweise, seine Jugendliebe Therese wiederfindet und über das Leben allgemein und das seine sinniert, »dass es keinen Zusammenhang gibt«. Mithin Grund genug, nun sich und uns seine Lebensgeschichte zu erzählen. Herausgekommen ist dabei eine Generations- und Sozialisationsgeschichte über einen Mann, der als Komponist im Westen der Republik Karriere gemacht hat, aber eigentümlich unbehaust geblieben ist. »Ich fürchte«, reflektiert der Erzähler einmal, »meine Generation wird keine großen Spuren hinterlassen. Wir waren die, von denen es immer zu viele gab, wir haben nicht richtig an uns geglaubt, nur hin und wieder so getan, was an unserer tief verwurzelten Skepsis nichts änderte. Wo immer wir uns hinbewegten, war die Stelle bereits besetzt, zumindest war das unser Eindruck. War nicht alles längst gesagt und getan, sodass wir uns bestenfalls wiederholen konnten? Wir wiederholten uns, aber wir rafften uns zu keiner Tat auf, vielmehr bestanden unsere Taten darin, dass wir zähneknirschend akzeptierten, dass uns keine einfielen.«

So trudelt und treidelt er hin und her, berichtet in den drei Teilen des Romans zunächst chronologisch vom Kennenlernen seiner Frau Jule über die Geschichte seiner Ehe und deren Scheitern bis zum Auszug aus der gemeinsamen Wohnung, um im zweiten Teil auf seine Kindheit und Jugendjahre zurückzublicken, auf die Prägungen durch einen herrschsüchtigen Vater, dem der Sohn nichts recht machen kann, und durch eine stets der Willkür und den Gewaltakten des Vaters ausgesetzte, nur stumm rebellierende Mutter, die sich wenigstens mit einem Geliebten über Wasser hält. Im dritten Teil werden quälende Szenen einer von Anfang an gescheiterten Ehe erzählt: und zwar nach deren Ende - der nervenaufreibende Kampf um das Sorgerecht für die beiden Mädchen und den Jungen, die Unterhaltszahlungen, Missgunst, Hass, Selbsthass inclusive.

Vielleicht wäre es noch gut gegangen mit der Musikerin Sonja, die der Protagonist auf dem Höhepunkt der Entfremdung von seiner Frau kennengelernt hat; doch seine Fixiertheit auf die Kinder - möglicherweise der absurde Wunsch nach einer heilen Familie - schreckt Sonja ab, die ihn folgerichtig verlässt, um ganz in der Musik und der eigenen Karriere aufzugehen. Passend zu dieser (Leidens-)Geschichte ist der lakonische Tonfall des Erzählers, der als Vertreter seiner Generation nicht zuletzt auch von der sie prägenden »Literatur der neuen Subjektivität« (Brinkmann, Born, Handke oder Struck) infiziert worden ist und - wie diese - Leiderfahrungen in den Mittelpunkt rückt. Das mag auch erklären, warum - obwohl der Roman mehr als vierzig Jahre behandelt - so auffallend wenig von Gesellschaft, Politik und Geschichte die Rede ist.

Hier bewegt sich jemand in seinem Hamsterrad - »ewig kreiselt sich der Kreisler in seinen Kreisen«, wie es bei E. T. A. Hoffmann heißt. Und das bis ins Alter hinein. Doch jetzt, so das tröstliche Moment dieses in seiner besessenen Einseitigkeit beeindruckenden Romans, mit seiner Jugend- und Greisenliebe Therese scheint es dem Erzähler besser zu gehen: »In den zwei Jahren, die sie bei mir ist, bin ich ruhiger geworden. Alles ist ruhiger geworden, der Sex, meine Musik, in der ich jetzt das meiste weglasse, verdichte und verschiebe, ohne anschließend groß zu korrigieren.«

Michael Kumpfmüller: Die Erziehung des Mannes. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 320 S., geb., 19,99 €.

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