In der gesamten Liga herrscht ja eine familienfreundliche Stadionatmosphäre. Das wirkliche Alleinstellungsmerkmal bei RB Leipzig ist das Fehlen von gewalttätigen Gruppierungen. Außerdem ist die Szene in Leipzig jünger, im Wachstum begriffen und sie verfügt noch nicht über gefestigte Strukturen wie andernorts. Auch das ist eine Besonderheit.
Am ehesten ist das vergleichbar mit Hoffenheim, wo ähnliche Prozesse ein paar Nummern kleiner abgelaufen sind. Aber in einer Großstadt wie Leipzig ist es ein Novum, dass eine Fanszene bei Null anfängt und dann so schnell und so viel Zulauf bekommt. Das birgt für die Anhängerschaft große Chancen, sich selbst zu erfinden - aber auch Gefahren.
Das kommt auf die Perspektive an. Der Klub freut sich natürlich über jeden zahlenden Anhänger. Aus Sicht der ultraorientierten Gruppen, die ihre Mannschaft in jeder Situation anfeuern wollen, gibt es allerdings die Sorge vor passiven Fans, die nur wegen attraktiver Ansetzungen ins Stadion kommen. Läuft es sportlich schlecht, sind die Ränge dann halb leer. Insgesamt wird es schwerer werden, den Überblick zu behalten. Wer kommt alles zum Spiel? Ist da schwierige Klientel dabei? Auch auf die Fanbetreuer, die sich unter um neu gegründete Fanklubs kümmern und diese bestenfalls auf Herz und Nieren prüfen, kommt mehr Arbeit zu.
Ja. Es ist wichtig, dass die Strukturen mit einer größer werdenden Szene Schritt halten.
Die Verantwortlichen sollten die Entwicklung detailliert beobachten, um bei problematischen Aspekten rechtzeitig gegensteuern zu können. Prävention im Sinne demokratischer Fanarbeit muss im Fokus stehen. Doch wichtig sind auch Strukturen und Vereinbarungen, um gegen Gewalt oder Rechtsextremismus frühzeitig intervenieren zu können.
In dem Maße wie eine Fanszene wächst, in dem Maße wird sie sich auch ausdifferenzieren. Mehr völlig harmlose Durchschnittsfans werden also in die Red-Bull-Arena strömen, aber womöglich auch blutjunge Anhänger, die an Gewalt interessiert sind. Und wiederum andere, die vielleicht extrem rechte Meinungen vertreten. Große Teile der Gesellschaft spiegeln sich auf den Rängen wieder.
Solche Entwicklungen können begleitet und in Bahnen gelenkt werden: durch viel Kommunikation, durch Austausch über den Fanrat oder auch eigene Veranstaltungen und Projekte. Hinzu kommt die präventive Arbeit im Fanprojekt. Jeder Verein ist gut beraten, Fans zu unterstützen, die sich gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen aussprechen - wie z.B. das Leipziger Bündnis »Rasenball gegen Rassismus« -, um überhaupt erst gar kein Vakuum für rechte Gruppen entstehen zu lassen.
Das ist einerseits gut, doch andererseits bleibt stete Vorsicht angebracht.
In anderen Vereinen hat es manchmal nur ein halbes Jahr gebraucht, bis rechte Anhänger in einer Kurve deutlich präsent waren. Gerade im Leipziger Umland ist das Potenzial dafür sehr groß. Und ein Klub wie RB übt - erst recht nach dem Aufstieg - eine große Anziehungskraft aus. Junge Fangenerationen wachsen schnell nach und befinden sich im steten Wandel.
Das wird davon abhängen, wie erfolgreich der Klub agiert. Wenn er im hinteren Tabellendrittel landet, werden die Proteste vermutlich weniger stark sein. Bei einer vorderen Platzierung könnte es deutlich mehr Widerstand geben.
Auch das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Welche Rolle wird RB sportlich spielen? Wie entwickelt sich die Fankultur weiter? Begegnet die Fanszene den Protesten weiter mit viel Selbstironie? Dazukommen noch äußere Faktoren wie die Debatten um die 50+1-Regel oder um die TV-Rechte. Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs bekommt RB Leipzig schließlich in besonderem Maße zu spüren.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1013335.reichlich-potenzial-fuer-problemfans.html