Wo die Schwärze sich windet

LPG-Werbung ist das nicht: In Neustrelitz werden Dieter Goltzsches gegenbildliche Bilder ausgestellt

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

In dem Bild »Schwarze Serpentina«, 2003 mit Pinsel und Tusche auf einem Blatt der Größe eines Schnellhefters gemacht, fällt ein doppeltes schwarzes Fragezeichen ins Auge. Es windet sich beinahe über die ganze Fläche. Graue Vierecke keilen es. Am Rand links unten ein Geflecht in Schwarz, als wäre es ein halbierter Kreuzzaun. Oben, wie hingerollt, scheint ein schwarzer Mond, der auch die Sonne sein könnte. Das Gebilde ist gerade wegen seiner das Blatt überwölbenden Schwärze schön. Nur vermittelt deutet es auf etwas außer sich. Eine Bildlichkeit, die Dieter Goltzsche meisterhaft beherrscht und figürlich wie abstrakt hundertfältig variiert hat.

Goltzsche ist fleißig, und er hat Glück selbst an Tagen, an denen auf Kultur wie auf Wurftauben geschossen wird. Seine Ausstellung »Blauer Pfirsich - Arbeiten auf Papier« in der Städtischen Galerie Dresden ist gerade zu Ende gegangen. Die Präsentation in der Kunstsammlung Neubrandenburg indessen läuft noch eine Weile. Schlicht »Schöne Zeichnung« hat er sie genannt. Sie gründet auf Abfolgen von Arbeiten, die in dem Katalogbuch »Dieter Goltzsche - Zeichnungen« enthalten sind, erschienen 2014 mit einem instruktiven Essay von Werner Schade im MCM ART Verlag Berlin. Der Katalog selber ist ein Kunstwerk für sich. Auf den knapp 200 Seiten gibt er eine höchst anschauliche Übersicht über Goltzsches Produktionen seit den 1950er Jahren.

Einige frühe Zeichnungen sind in Neubrandenburg zu sehen. »Kuhstall« heißt eine von 1953. Kühe mehr in Schwarz als Weiß vor graubraunen Wölbungen. LPG-Werbung ist das nicht. »An der Peene« schuf er 1961, ein Werk im Stile des seinerzeit viel bewunderten Ernst Schröder. Was ist das für ein Mädchen, das »Mai 1957« zeigt? Das Kinn auf beide Hände gestützt, blickt es schiefmäulig, versonnen schielend in die frohe Zukunft. Ulkig gleichfalls die Kugel mit den Fischen drin in »Kleine Barsche«, mit Rohrfeder gemacht (1961). Im besten Sinne Natur- und Milieuzeichnungen sind »Am Müggelsee« (1966) und »Müggelsee in Friedrichshagen« (1962). Friedrichshagen ist Goltzsches Heimatort, seit der Dresdner in Berlin lebt. Ganz anders geartet, entsteht zur gleichen Zeit »Das Japanische No-Spiel«, eine strukturbewusste Federzeichnung en miniature, die das Starre der Bühne ins Komische wendet.

Noch in den 80er Jahren kommt für den Künstler der Landschaft zeichnerische Priorität zu. Kugelbäume und, so scheint es, preußisch-militärisch paradierendes Gehölz zeigt das grünlich-graue »Mecklenburg« (1980). Schöne Zeichnungen sind die ausgestellten Arbeiten allesamt. Sie sind Teil eines Riesenkonvoluts schöpferischer Arbeit, das sich über die Jahrzehnte hinweg angehäuft hat.

Goltzsche ist jetzt 81. Das merkt man ihm kaum an. Seine Augen wirken lebhaft wie ehedem, die Hände flink, der Blick verschmitzt wie der eines regsamen Kindes, und aus seinem Mund kommt immer mal wieder eine Pointe, die es in sich hat. Zur Ausstellungseröffnung redete er kurz und warf neben den üblichen Dankesbezeigungen den Satz ab: »Kunststreichungen fördern die Kriminalität!« Das traf und meinte jenes Geschwür der Kulturzerstörung, das, befällt es den Körper weiter so wie bisher, die bestehende Gesellschaft teuer zu stehen kommen wird.

Kunst kann nur Gegenbild sein, und Goltzsches Bilder sind gegenbildlich schlechthin. Jedes Einzelstück, sei es mit Bleistift, Feder, Kreidestift, Pinsel oder Spachtel, Schaber, Kohlestift gefertigt, entgegnet, widerspricht. Noch die abstrakteste Schöpfung. Jede ist um Meilen der Kultur der kriegerischen Gaukler, der prügelnden Polizisten, der vorgeblichen Ordner dieser Welt überlegen, der Kultur der hofierten Repräsentanten von »Kunst« ohne Blut und Geist ohnehin. Goltzsche ist dem Klaren, Schönen, Wahrhaftigen zugewandt. Man wünschte sich, jeder Einzelne hienieden wäre von dieser Trias erfasst. Die Welt würde besser sein.

Bei der Zeichnung »Collinhof« von 1979 lässt sich die Physiognomie eines Monsters mitten in der Landschaft allemal ausmachen. Keineswegs abwegig, darin die Keimzelle der heute immer weiter ausgreifenden Windparks zu sehen, welche die Landschaft verschandeln. Auch bei »Der Weg« (1991), produziert mit Rohrfeder, Tinte und Bleistift, darf der Motor der Phantasie nicht stille stehen. Dieser »Weg« ist nämlich labyrinthisch. Kreuz und quer angedeutete Passagen, Pfeile, Haken, Zäune strukturieren das Blatt. Kunst antizipiert, offen und verdeckt, willentlich und unwillentlich. Und sie evoziert ungewöhnliche Blicke. Manche Arbeiten von Goltzsche, so wenig sie Außenerscheinungen berühren mögen, verführen geradezu dazu. Zeigen die wenigen Striche im »Weg« schon die Konturen der Lager mit Stacheldraht an Griechenlands Grenzen, die Flüchtlinge vollends um ihre Freiheit bringen? Goltzsches »Stadt« (1992) ist eine, in der auf Zeitungspapier die Schwärze sich windet. Farbiges, Frohes, Betörendes hat er freilich auch gemacht. Zur Freude der Betrachter überreichlich sogar. Ein Beispiel ist die Arbeit »Torhüter« (2006). Eine Lust für Auge und Hirn, lange auf dies Blatt zu schauen und an seinen geschwungenen Abdrücken frei zu fabulieren.

Dieter Goltzsche, »Schöne Zeichnung«, Kunstsammlung Neubrandenburg, Große Wollweberstraße 24, bis 12. Juni

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